Auch wenn ich mich in der Mail an die Kandidaten etwas im Zeitplan vertan habe (die Wahl findet schon am 7. Juni und nicht im Juli statt), traf vorhin die erste Antwort-Mail ein. Der Kandidat Johann-Georg Jaeger von Bündnis 90 / Die Grünen hat als erster Kandidat geantwortet. Hier nun die Mail im Ganzen (etwas zwecks besserer Formatierung/Lesbarkeit editiert):
Sehr geehrter Herr Jürgensmann,
ich finde es gut, dass Sie sich so konkret einmischen. Deshalb habe ich mir die Zeit genommen, auch wenn ich das nicht für jeden Blog zeitlich hinbekomme. Ich hoffe, Sie können mit den Antworten etwas anfangen?!
Grüße und viel Erfolg mit dem Blog.
Wenn Sie den Text als Worddokument brauchen, so bitte ich um eine kurze Rückmeldung.
Johann-Georg JaegerFrage:
Wer ist Ihr ganz persoenliches politisches Vorbild und warum?
Antwort:
Joschka Fischer – auch wenn mich einiges an ihm genervt hat und ich ihm nicht in jedem Punkt zustimme. Aber wenn er sich mit seinen unbequemen Wahrheiten gegen einen ganzen Parteitag (heißt bei den Grünen BDK) gestemmt hat und Menschen mit der Kraft seiner Argumente nicht nur mitgerissen sondern überzeugt hat, dann hatte das schon etwas sehr beeindruckendes.Frage:
Was sind die drei wichtigsten Punkte im Wahlprogramm?
Antwort:
1. langfristige und nachhaltige Haushaltskonsolidierung = Verschuldungsursachen beseitigen und nicht nur eine kurzes Durchamten mit einer Sofortentschuldung und dann hinein in die nächste Schuldenspirale.
2. Investieren in Klima (Energieeinsparung durch Gebäudesanierung und Öffentlichkeitsarbeit für 10% des Stromverbrauchs aus Photovoltaikanlagen auf Rostocks Dächern)
3. Bildung (weiterhin 10-12 Mio. pro Jahr für Kita- und Schulsanierung) und Kultur (erhalt des Angebotes in Rostock, keine weitere Kürzung bei den freien Kulturträgern, Unterstützung der Sanierung der Frieda 23 über Städtebaufördermittel usw.)Frage:
Welche drei grossen Probleme sehen Sie derzeit, die es zu loesen gilt?
Antwort:
Klimawandel, Finanzkrise, soziale GerechtigkeitFrage:
Die grossen Volksparteien verlieren seit laengerem Mitglieder. Offenbar sehen sich die Buerger nicht mehr von diesen vertreten. Auch die Wahlbeteiligung ist nicht gerade umwerfend. Was koennte man tun, um die Politikverdrossenheit zu mindern und das Interesse der Menschen an der Politik zu steigern?
Antwort:
Bürgerbeteiligung stärken / Volksabstimmungen, die auch die Folgen der Entscheidung mit zur Abstimmung stellen / Wahlverweigerung ist keine Form von Engagement sondern bedeutet sich fremd bestimmen zu lassenFrage:
In der letzten Zeit wurden viele Gesetze verabschiedet, die spaeter vom Bundesverfassungsgericht eingeschraenkt oder kassiert wurden. Ist das Grundgesetz nicht mehr zeitgemaess oder schiessen die Politiker mit der Gesetzgebung ueber das Ziel hinaus?
Antwort:
Tatsächlich ist unsere Gesellschaft extrem verletzlich durch Terroranschläge. Diese Gefahr hat das Grundgesetz noch nicht so gesehen. Wir können jetzt die grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte zum Wohle der Allgemeinheit immer mehr abbauen oder – das halte ich für richtig – unsere Gesellschaft so organisieren, dass sie weniger verletzlich ist (z. B. Abschaltung von Atomkraftwerken und eine möglichst dezentrale Energieversorgung mit regenerativen Energien)Frage:
Die Haushaltssituation in Rostock ist seit Jahren bedenklich. Wie laesst sich die Situation verbessern, ohne bei sozialen Einrichtungen zu kuerzen?
Antwort:
Wenn wir nicht allen Alles versprechen und Prioritäten setzen. Wir brauchen für einen Übergangszeitraum einen Haustarifvertrag, in dem die Beschäftigen der Stadt auf Einkommen gegen Freizeitausgleich verzichten und dafür einen Kündigungsschutz erhalten. Und es gehört auch dazu, den Menschen klar zu sagen, dass ein Theaterneubau in den nächsten 5 Jahren aus Eigenmitteln der Stadt unbezahlbar ist.Frage:
Wenn man die umliegenden Seebaeder im Vergleich mit Warnemuende betrachtet, macht letzteres einen armseligen Eindruck: die Muehlenstrasse ist ein Flickenteppich und mit Schlagloechern uebersaet, die Buergersteige und Gehwege sind eher mit Stolperfallen vergleichbar. Ist eine Verbesserung der Infrastruktur absehbar oder wird den Touristen dieser Zustand weiterhin zugemutet werden?
Antwort:
In Warnemünde wurde und wird sehr viel Geld investiert – das es nicht ausreichend ist, ist angesichts der Haushaltslage vielleicht nachvollziehbar.
Konkret wird mit der Planung und Sanierung der Mühlenstraße noch 2009 begonnen. In der Alexandrinenstraße werden die Bürgersteige in Ordnung gebracht und beim Umbau des Bahnübergangs eine Umgehungsstraße mit Brücke gebaut und die Bewohner der Rostocker Straße und der Alten Bahnhofsstraße deutlich entlastetFrage:
Ein grosses Problem ist die Abwanderung von jungen Leuten aus Mecklenburg-Vorpommern. Welche Ursachen sind ihrer Meinung nach dafuer verantwortlich und wie koennte man die Migration stoppen?
Antwort:
Der zentrale Grund ist der Mangel an attraktiven und gut bezahlten Jobs. Wer den Wegzug stoppen will, muss genau daran etwas ändern. Die Grünen setzen in Rostock auf das Thema Windenergiekompetenzzentrum. Inzwischen arbeiten in diesem Bereich über 1.500 Menschen und die Nachfrage wächst weltweit rasant. In Zukunft muss die Universität mit ihrem Potential stärker auch bei diesem Thema eingebunden werden. Wir brauchen hier den Studiengang „Windenergie“, um Fachkräfte auszubilden und die Synergieeffekte mit den angesiedelten Unternehmen zu nutzen.Frage:
Ob Kraftwerk am Greiswalder Bodden oder Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide – was ist wichtiger: wirtschaftliche Interessen oder der Naturschutz?
Antwort:
Die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen geht klar vor und ist auch wichtige Voraussetzung unseres wirtschaftlichen Erfolges – und das bezieht sich nicht nur auf den Tourismus.Frage:
Was verstehen Sie konkret unter den Begriffen “soziale Gerechtigkeit”, “soziale Marktwirschaft”, “Informationsfreiheit” und “Netzneutralitaet” und wie bewerten Sie diese?
Antwort:
„Soziale Gerechtigkeit“ und „soziale Marktwirtschaft“ müssen verbunden werden. Bei der Markwirtschaft wird nach Knappheit bezahlt – dies ist ein wichtiger Innovationsmotor, von dem die Gesamtgesellschaft profitiert, weil er Menschen zu Höchstleistungen anspornt. „Sozial“ macht den Anspruch deutlich, nicht alles einem freien und entfesselten Markt zu überlassen. Wir werden damit leben müssen, dass der Anspruch von Gerechtigkeit und von Freiheit nie in Übereinstimmung zu bringen ist. In Zeiten wirtschaftlicher Krisen droht eine Gesellschaft stärker auseinander zu driften. Das Leistungsstärkere in einer solchen Situation stärker zum Tragen der gesamtgesellschaftlichen Lasten herangezogen werden ist richtig und notwendig. So fordern die Grünen in ihrem Bundestagswahlprogramm die maßvolle Anhebung des Spitzensteuersatzes. Diese stärkere Beteiligung sollte aus Verantwortung, aber nicht aus Neid eingefordert werden und die Anerkennung der Leistung auch herausstellen.Und für all die noch offen Fragen: www.rostock-gruene.de
Ich danke Herrn Jäger für die ausführliche Beantwortung der Fragen. Als erster Kandidat hat nicht nur er es schwerer gehabt, weil er hier im Blog nicht schauen konnte, was die anderen antworteten, sondern ich muss sagen, daß ich es auch etwas schwer habe, die Antworten zu kommentieren. Im Großen und Ganzen bin ich mit den Antworten aber sehr zufrieden. Dennoch möchte ich nicht mit ein paar Kommentaren hinter dem Berg halten. 😉
- Die Haushaltskonsolidierung sehe ich ähnlich wichtig. Vielfach kommen bei dem Thema Ideen auf wie “Verkauf der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften” oder “Verkauf von kommunalen Liegenschaften und Miete dieser im Nachhinein”. Diese Sofortentschuldung greift zu kurz und ist meiner Meinung nach völlig irrwitzig. Die Idee mit den Photovoltaikanlagen halte ich auch für gut und sinnvoll.
- Die Politikverdrossenheit mit Hilfe von mehr Bürgerbeteiligung wie z.B. Volksabstimmungen zu kontern, ist ein zweischneidiges Schwert. Prinzipiell fände ich es schon gut, wenn bei wichtigen Entscheidungen der eigentliche Souverän befragt werden würde, z.B. bei Grundgesetzänderungen. Aber darf die Möglichkeit einer Volksabstimmung nicht dazu führen, daß diese Möglichkeit mißbraucht wird.
- Die Gefährdungsgefahr sehe ich etwas anders. Ich denke, daß durch das Innenministerium ein riesiges Gefährdungspotential künstlich aufgebauscht wird, um fragwürdige Sicherheitsgesetze durchsetzen zu können. Daß die gesellschaftliche Infrastruktur teilweise dahingehend gefährdet ist, daß diese relativ zentralistisch ist, sei unbenommen. Eine Dezentralisierung z.B. der Strom- und Wärmeversorgung sehe ich aber auch als erstrebenswert an, ebenso daß die vom Grundgesetz garantierten Grundrechte bewahrt werden müssen.
- Einen Theaterneubau halte ich auch in 15 Jahren noch für unwahrscheinlich. Daß man nicht allen immer Alles versprechen sollte, ist eigentlich auch klar. 😉
- Daß in Warnemünde so viel Geld investiert worden sein soll, kann ich nicht nachvollziehen. Als Einwohner von Warnemünde hat man eher das Gefühl, daß das Geld, das die Touristen nach Warnemünde bringen, nach Rostock abfließt und nicht in Warnemünde reinvestiert wird. Seltsam mutet es dann z.B. an, wenn man in Warnemünde die Bürgersteige selber von Laub befreien muss, während man in Rostock auf der Straße einen Kommunalservice den Laub von der Straße fegen sieht. Da fragt man sich: Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?
Daß mit der Planung zur Sanierung der Mühlenstraße in diesem Jahr begonnen werden soll, ist sicherlich löblich, aber auch mehr als überfällig. Allerdings wird der Status Quo dann auch noch die nächsten Jahre bestehen bleiben, wenn erst jetzt geplant wird. Das mit der Brücke über die Bahnstrecke ist sehr begrüßenswert, aber als Bewohner der Parkstraße würde ich mich natürlich auch über eine Umgehungsstraße zwischen Stadtautobahn und Diedrichshagen freuen. Wenn hier LKWs und Busse vorbeifahren wackelt immer das gesamte Haus aufgrund des moorigen Bodens. Zumindest eine Geschwindigkeitsbegrenzung wäre als Sofortmaßnahme sinnvoll, speziell wenn im Sommer viele Leute die Straße queren und die Autofahrer teilweise mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit fahren. Tempo 100 ist abends häufiger mal zu sehen. Mich wundert, daß da noch nie was passiert ist. - Die Windenergie ist durchaus ein wichtiger Industriezweig in Rostock. Daß hier niedrige Löhne gezahlt werden und die Fachkräfte deswegen in den Westen bzw. Süden abwandern bzw. aufgrund des Gehaltsgefälles nicht für Rostock gewonnen werden können, sehe ich genauso, denn das Problem betrifft mich auch. In Berlin hab ich € 1000.- mehr verdient. Als ich mich letztes Jahr zurück nach Rostock beworben habe, wurden mir teilweise Angebote gemacht, die völlig indiskutabel waren und wo man denken könnte, daß es eher der Wochenverdienst sein sollte. Da muß die Rostocker Wirtschaft noch viel dazulernen. Leider kann die Politik da aber wohl kaum etwas tun.
- Den Begriff der sozialen Marktwirtschaft stärken zu wollen, ist löblich, nur befürchte ich, daß dies bald wieder in Vergessenheit gerät, sobald sich die Krise wieder abgeschwächt hat.
Soweit also die Antwort von Herrn Jaeger und mein Kommentar dazu. Ich bin gespannt, wann und was der nächste Kandidat antwortet. 🙂
I seem to not get their eMail or script code.
Plus, they not supporting https is a major problem.
I hope the script won’t be invalid XHTML… or else…
After applying you'll get to a report page. On top of that page is a button “click here to get the script codes…” that leads you to a textbox with the code you need to paste into your website.
If it's not valid XHTML you can contact the guys there via email. They're very helpful…