Ist die Privatsphäre ein überholtes Ding aus der Vergangenheit?

Ob Facebook oder Google: den Firmen weht hier in Deutschland eine steife Brise ins Gesicht. Insbesondere Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner, die auch für den Verbraucherschutz zuständig ist, hat beide Firmen auf dem Kieker. Ein Teil der netzpolitisch aktiven Szene versteht die Aufregung nicht, sondern begrüßt geradezu die Vernetzung von Daten und die damit einhergehende Innovation, wie sie meinen.

Und in der Tat bietet die Vernetzung von Daten das Potential für Neues und Innovation. Im Grunde basiert das gesamte Internet auf der Verlinkung, Vernetzung und Vermischung von Daten. Auch Blogs wären nur halb so interessant, wenn nicht die Möglichkeit bestünde, Daten oder Meinungen zu veröffentlichen, diese Daten aufzugreifen und zum Beispiel zu kommentieren.

Wenn ich in einer Social Network wie Facebook bin, möchte ich natürlich gefunden werden, möchte ich alte Freunde wiederfinden, möchte ich alle diese schönen Möglichkeiten nutzen, die mir eine solche Plattform bietet. Logisch! Sonst bräuchte ich nicht Teil dieser Plattform sein. Aber ich muss mir auch bewußt sein, daß es diese tollen Dinge nicht umsonst gibt, weil die Betreiber so nette Menschen sind. Vielmehr sind die Betreiber Firmen und somit an einem Gewinn interessiert. Also an Geld. Und das bekommen sie, indem sie Werbung einblenden oder im schlimmsten Fall meine Daten verkaufen.

Insofern kann man natürlich die Bedenken vieler verstehen, die vor der Preisgabe persönlicher Daten im Internet warnen. Allerdings haben auch die Befürworter der Innovation im Netz, der öffentlichen Daten und der Vernetzung gute Argumente für die Offenheit der Daten und deren Verbreitung. Ich bin da etwas zwiegespalten. Einerseits befürworte ich das Potential, die das Internet bietet, andererseits bin ich ein Fan von Datenschutz und Privatsphäre. So bin ich kein großer Google-Freund. Ich habe der Verwendung von Streetview-Bildern widersprochen und mich bei der Verfassungsklage gegen ELENA beteiligt. Das ist alles ist kein großes Geheimnis. Aber es gibt auch Daten, die ich nicht im Netz veröffentliche. So treibe ich durchaus einigen Aufwand, um zum Beispiel mein Handy mit meinen Rechner zu synchronisieren, also Kontakte, Aufgaben und Termine. Ebenso synchronisiere ich meine Bookmarks über meinen eigenen Server anstatt über einen Servicedienstleister.
Ich behalte gerne die Kontrolle über meine Daten.

Facebook & Co hingegen bieten teilweise Plugins und Apps an, um z.B. das Adreßbuch aus dem Mailprogramm zu integrieren. Dadurch ist zwar nicht unbedingt meine Privatsphäre in Gefahr, denn eventuell möchte ich ja auf meine Emailkontakte in Facebook zugreifen. Aber wie schaut es mit den Personen in meinem Adreßbuch aus? Sind diese alle mit der Integration auf einer Social Community Plattform einverstanden? Möchten diese das auch? Oder wollen diese lieber anonym und privat bleiben? Das ist eine Entscheidung, die jede Person aus dem Adreßbuch selber treffen muss.Ich bin nicht berechtigt, diese für andere zu treffen und sie damit unter Umständen zu entblößen.

Doch wie schaut es auf der anderen Seite aus? Beim Staat? Dieser sammelt auch enorm viele Daten über seine Bürger, auch wenn Bürgerrechtler in den letzten Jahren immer wieder vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) teils sehr wichtige Siege errungen haben. So wurde Anfang des Jahres die bsiherige Vorratsdatenspeicherung gekippt. Ende März wurde eine neue Massenklage von 22005 Klägern gegen ELENA, quasi der Vorratsdatenspeicherung der Arbeitnehmerdaten, eingericht. Was mit dem Volkszählungsurteil begonnen hat, hat mit dem Urteil gegen die Onlinedurchsuchung noch längst nicht aufgehört. Die Wahrung unserer Bürger- und Grundrechte ist ein stetiger Kampf. Nicht umsonst spricht man bei den Grundrechten von Verteidigungsrechten der Bürger gegenüber dem Staat. Und eben diese besagen, daß der Bürger ein Recht auf Privatheit hat. Der Staat soll und darf sich nicht in alle Belange des Bürgers einmischen. Um diese Freiheit und diese Privatheit zu verteidigen, haben die Väter und Mütter des Grundgesetzes damals die Grundrechte in die Artikel 1-19 in das Grundgesetz geschrieben, geprägt von den Eindrücken und Erfahrungen der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts.

Dies ist wichtig, um die Bedeutung der Privatsphäre und des Datenschutzes in Deutschland zu verstehen. Es ist nicht einfach ein Spleen, um Firmen das Leben mit innovativen Ideen im Internet zu erschweren, sondern eine grundlegende Säule unserer Gesellschaft.
Umso wichtiger ist es somit auch, daß der Staat diese Grundrechte respektiert und auch selber schützt. Doch das tut er nicht, wenn er den Bürger als Gegenstand zur Sammlung von Daten betrachtet. Zwar mögen die Daten, die private Firmen wie Google oder Facebook von den Bürgern sammeln, weitaus sensibler und umfangreicher sein, aber der Staat hat eine besondere Stellung, die die Datensammlungen des Staates schlimmer machen als die von Unternehmen:
Der Staat hat das Gewaltmonopol. Das heißt, daß er die gesammelten Daten ganz anders erheben, sammeln und auch verwerten kann. Er darf die Rechte der Bürger einschränken, zum Beispiel indem er sein Telefon abhört oder diesen sogar der Freiheit beraubt/verhaftet und ins Gefängnis steckt. Ein Unternehmen hingegen ist mehr oder weniger auf die Daten angewiesen, die der Bürger ebenso mehr oder weniger freiwillig über sich herausgibt.

Es ist also ein qualitativer Unterschied in der Datenerhebung zwischen Staat und Privatwirtschaft, der unter anderem in unserem Grundgesetz begründet liegt. Legt der Staat Hand an das Grundgesetz, um die Bürgerrechte und Grundrechte zu beschneiden, legt er Hand an die Grundlage unserer Gesellschaft. Aufgrund seiner besonderen Stellung, hat der Staat auch eine besondere Verantwortung gegenüber seinen Bürgern. Schützt er jedoch nicht die im Grundgesetz gewährten Grundrechte, und das Recht auf Privatheit gehört dazu, indem er anlasslos und massenweise ohne Not Daten über seine Bürger sammelt, sind die Auswirkungen enorm. Wie können die Bürger noch einem Staat vertrauen, der seine eigene Verfassung, die das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland nun einmal faktisch ist, mißachtet?

Deshalb ist die Aufregung so vieler Bürger berechtigt, wenn sie ihr Grundrecht auf Privatheit bedroht sehen. Sei es durch den Staat, sei es durch Unternehmen. Es ist fantastisch, wenn neue Technologien wie das Internet neue tolle Dinge ermöglichen. Die Vernetzung von Daten ist begrüßenswert und zu fördern, insbesondere wenn es um öffentliche Daten handelt. Daten, die die Öffentlichkeit betreffen, sollten auch der Öffentlichkeit zugänglich sein, denn die Öffentlichkeit bzw. die Gesellschaft finanziert zu einem großen Teil diese Daten über ihre Steuern. Sie gehören also ohnehin schon der Öffentlichkeit.
Jedoch hat jeder auch das Recht, privat zu bleiben. Wenn jemand seine Daten nicht preisgeben möchte, dann sollte dieser Wunsch nicht nur von privaten Unternehmen respektiert werden, sondern auch vom Staat, sofern dies nicht unbedingt zur Erfüllung seines Auftrages notwendig ist.
Wer natürlich freiwillig sein Leben in allen privaten Einzelheiten im Netz ausbreiten möchte, hat natürlich zweifelslos das Recht dazu. Aber daraus ein Recht zum Datensammeln aller verfügbaren Daten, derer man habhaft werden kann, abzuleiten, ist natürlich genauso falsch wie zu behaupten, daß der Datenschutz Innovation oder gar Strafverfolgung verhindern würde. Vielmehr sollte es darum gehen, wie man seine Daten und deren Weitergabe kontrollieren kann. Dies bedarf einer differenzierteren Betrachtung als “Daten sollten frei sein” und “Datenschutz geht uns alle an”. Die Diskussion um den goldenen Mittelweg dürfte sicherlich noch eine Zeit lang andauern und interessant werden.

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1 thought on “Ist die Privatsphäre ein überholtes Ding aus der Vergangenheit?

  1. Wer sich ernsthaft und intensiv mit den Argumenten der “Gegenseite” auseinandersetzen möchte, dem empfehle ich wärmstens das Buch “The Transparent Society: Will Technology Force Us to Choose Between Privacy and Freedom?” von Science-Fiction Autor David Brin. Ich hab ihn in einem Vortrag mal live erlebt und seine Argumente sind alle wohl plaziert und spannend zu hören/lesen. Eine deutsche Übersetzung gibt es meines Wissens nach nicht. 🙁

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