Ägypten: Das Zaudern des Westens

Nun gehen die Proteste in Ägypten schon in die zweite Woche, aber passiert ist dort noch nicht viel. Außer daß viele Menschen verletzt oder sogar getötet wurden. Das Regime in Person von Mubarak ist immer noch an der Macht und der Westen scheint eher widerwillig in Bezug auf die Demokratie-Bestrebungen in Ägypten zu sein. Nicht nur, daß man zögert die Demokratiebewegung offen zu unterstützen, nein, man unterstützt lieber weiter offen Mubarak wie Italiens Berlusconi. Der Rest scheint eher zu überlegen, wie man dem Regime einen ehrenhaften Abgang verschaffen kann, wie Spiegel berichtet

Auch die USA und Europa drängen auf eine Übergangslösung, in der Mubarak nicht sofort zum Rücktritt gezwungen wird. So zitierte die "New York Times" US-Regierungskreise, wonach der 82-jährige Mubarak – wie bereits in der Vergangenheit – zu einer längeren medizinischen Untersuchung nach Deutschland kommen könnte und damit einen Abgang in Würde bekäme. Das Auswärtige Amt erklärte zu entsprechenden Berichten, diese Frage stelle sich nicht.

Natürlich sind die Bedenken durchaus berechtigt, daß ein zu schneller Wechsel zu Chaos und Instabilitäten führen würde. Das sieht auch der Oppositionelle ElBaradei so: 

Allerdings dringt auch der international geachtete Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei darauf, erst in einem Jahr neu wählen zu lassen. Eine einjährige Übergangszeit mit einer "Übergangsregierung der nationalen Einheit" sei nötig, um freie und faire Wahlen zu gewährleisten, sagte er dem US-Fernsehsender CNN. Dem derzeitigen Regime die Aufsicht über Wahlen in den nächsten Monaten zu erlauben, würde zu einer "unechten Demokratie" führen.

Aber die Hauptforderung der Demonstranten bleibt bislang unerfüllt: Mubarak muss gehen! Wenn Mubarak sein Amt niederlegt, wird meiner Meinung nach nicht sofort das Chaos ausbrechen, weil immer noch ein Großteil des Regimes im Amt ist. Angefangen von der Spitzenpolitik über die Beamten in der Verwaltung bis hin zu den Generälen im Militär. Es gibt also eigentlich gar keinen Grund, diese Hauptforderung nicht zu erfüllen und somit die Chance nach ein bißchen Normalität wahrzunehmen.

Stattdessen erzeugt dieses Zaudern des Westens ein negatives Bild von den eigenen Werten, wie Kolumnist Jakob Augstein schreibt

Die Sicherheit Israels, die freie Passage durch den Suez-Kanal und die Eindämmung des Islamismus – das Mubarak-Regime leistete dem Westen wertvolle Dienste. Das sind alles legitime Interessen. Aber der Westen und Israel haben illegitime Mittel benutzt, sie zu verfolgen. Die Unterstützung eines Regimes, das seit bald 30 Jahren mit Notstandsgesetzen regiert, das ungerührt eine Wahl nach der anderen fälschen lässt und dessen für Folter und Verfolgung berüchtigte Polizei für die schmutzigste Unterdrückungsarbeit auf organisierte Kriminelle zurückgreift, war illegitim.

Aber, wie Bush richtig gesagt hat: "Auf lange Sicht lässt sich Stabilität nicht auf Kosten von Freiheit kaufen."

Freiheit bahnt sich so oder so ihren Weg. Man kann sie vielleicht für eine gewisse Zeit unterdrücken, aber irgendwann bricht sie wieder hervor. Da hilft auch nicht das Abschalten von Internet oder Handynetzen, wie Peter Glaser resümiert

Husni Mubarak und seine alten Männer haben aber nicht erkannt, dass die digitale Kommunikation nicht das zentrale Element dessen ist, was in Ägypten gerade vor sich geht. Das Netz fungiert nur als Katalysator, der die Dinge beschleunigt. Als Militär denkt Mubarak in Kategorien wie “Enthauptung der wichtigsten Kommunikationsknoten”. Das hindert vielleicht eine Armee daran, sich zu organisieren, nicht aber ein Volk. Die Totalblockade des Internet in Ägypten hat das Gegenteil dessen bewirkt, was das Regime beabsichtigt hat. 20 Millionen Internet-Nutzer hatten zu Hause nichts mehr zu tun, kein Netz – also gingen sie auf die Straße.

Der Westen wäre also gut beraten, die Demonstranten in Kairo in ihrer wichtigsten Forderung zu unterstützen: dem Rücktritt Mubaraks. Ansonsten macht sich der Westen gemein mit dem Regime in Kairo und seinen Mitteln und wird unglaubwürdig. Der Westen tritt immer dann für Freiheiten wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit oder freie Wahlen ein, wenn es gerade in den politischen Kram passt. Aber bei einem Regime, das dem Westen nützt, wird gerne mal ein Auge zugedrückt und die eigenen Werte werden verraten. Augstein: 

Die riskanten Folgen dieses Versagens liegen auf der Hand. Denn der stärkste Verbündete des militanten Islamismus war immer die Verlogenheit des Westens. Der Westen hat im Nahen Osten immer wieder seine eigene Werte verleugnet und der Autokratie den Vorzug vor der Demokratie gegeben. Aber oft bewirkt man, was man bekämpft.

Die Autokratie der arabischen Regime sollte ein Bollwerk gegen den Islamismus sein? Inzwischen droht die Demokratie zu seinem Verbündeten zu werden. Die Hamas ging im Gaza-Streifen aus freien Wahlen hervor. Und wie laizistisch wird die Muslimbruderschaft in Ägypten noch sein, wenn sie erst einmal an die Macht gekommen ist?

Hoffen wir also, daß nicht nur Ägypten sich wieder demokratische Rechte und freiheitliche Werte erstreitet, sondern daß sich auch der Westen wieder auf diese Werte zurück besinnt!

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