“Zu viel Grundrecht ist schlecht für den Staat”

Wiederum ein interessantes Fundstück via Twitter: der Artikel “Unionsparteien nicht kompromissbereit” bei gulli.com von Annika Kremer. Darin geht es um die Verhandlungsbereitschaft der CDU im heute beginnenden Koalitionspoker in Berlin. Besonders bemerkenswert finde ich aber nicht die Unbeweglichkeit bzw. Kompromißlosigkeit der CDU, sondern die Aussagen der betroffenen Innenminister der CDU. Hier eine Sammlung der Aussagen:

“Mit der Union wird es auf diesem Feld keinen Kurswechsel geben”, sagte der Innenminister-Sprecher der unionsregierten Länder, Volker Bouffier (CDU) aus Hessen. Wer die angesprochenen Sicherheitsgesetze, zu denen das BKA-Gesetz zählt, ersatzlos streichen wolle, handele “unverantwortlich”. “Online-Durchsuchungen, das Abhören von Wohnungen, die Speicherung von Telefondaten und die Erfassung von Autokennzeichen sind absolut notwendig. Dieser Sicherheitsstandard darf von der FDP nicht untergraben werden”, so Bouffier.

Anstatt Sicherheitsmaßnahmen abzubauen, forderte Bouffier gar deren Erweiterung. Ein von ihm befürwortetes Konzept: “Der Verfassungsschutz muss zuständig werden für die Beobachtung der organisierten Kriminalität.” Mit einer ähnlichen Forderung hatte das Innenministerium kurz vor der Wahl bereits für Aufsehen gesorgt (gulli:news berichtete). Zudem sprach sich der CDU-Politiker für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren “in einem vernetzten Sicherheitssystem für besondere Aufgaben” aus.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann schloss sich seinen Parteifreunden an. Bei seiner Ablehnung der FDP-Positionen wird er sogar polemisch: “Wir können den Terror nicht mit der Steinschleuder bekämpfen, wie es die FDP offensichtlich vorhat”, sagte er der “Welt am Sonntag”. Er kritisierte, der Forderungskatalog des potenziellen Koalitionspartners sei “von einem tiefen Misstrauen gegen alle staatlichen Einrichtungen geprägt”. Nach Berichten der Online-Ausgabe der Welt nannte Hermann es “einen eklatanten Widerspruch, dass die FDP einerseits völlige Freiheit für sämtliche Aktivitäten im Internet verlange, andererseits aber dem Staat bei der Verfolgung von Terroristen und Schwerverbrechern Fesseln anlegen wolle.” “Freiheit für Terroristen, massive Beschränkungen für Polizisten – das kann nicht die Lösung sein”, sagte Herrmann.

Verärgert zeigten sich die Unions-Innenminister dagegen über das generelle Auftreten der FDP. Sie werfen den Liberalen vor, “ein Exklusivrecht zur Verteidigung der Bürgerrechte” für sich zu beanspruchen. Für die Unionsparteien stünde dagegen “die Schutzverpflichtung des Staates gegenüber den Bürgern” im Vordergrund. “Für die Union heißt das erste Bürgerrecht ganz klar die innere Sicherheit. Ohne sie gibt es keine Freiheit. Doch die FDP will diesen Grundsatz umdrehen. Das machen wir nicht mit”, sagte Schünemann. Dem Staat die Möglichkeit einzuräumen, seine Bürger effektiv zu schützen, müsse “eigentlich auch das Anliegen der FDP sein.[…]”

Diese Zitate zeigen sehr schön, wie sehr die CDU bzw. deren Innenminister schon das Grundgesetz aus den Augen verloren haben und mit welchen Mitteln sie arbeiten. Zum einen gibt es kein Grundrecht auf Sicherheit im Grundgesetz, sehr wohl aber verschiedene Grundrechte, die die Bürgerrechte schützen (Menschenwürde, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Brief- und Telekommunikationsgeheimnis, …), zum anderen stellt das Grundgesetz die Menschenwürde an die oberste Stelle der Rechte, unter das sich alle anderen Rechte nachordnen müssen. Somit ist die Aussage, daß das “erste Bürgerrecht ganz klar die innere Sicherheit” sei, eigentlich verfassungsrechtlich ganz und gar nicht haltbar. Dies wiegt natürlich umso schwerer, weil die Innenminister eigentlich über die Einhaltung der Verfassung, also des Grundgesetzes, zu achten haben.
Außerdem zeigen diese Aussagen sehr schön die Polemik, mit der die CDU-Innenminister hier arbeiten: sie streuen Ängste in der Bevölkerung und ziehen Bestrebungen, die Grundrechte zu schützen ins Lächerliche (“Wir können den Terror nicht mit der Steinschleuder bekämpfen“). Das ist natürlich offensichtlich vollkommener Unfug und eigentlich auch keiner ausführlichen Begründung notwendig, warum das nun völliger Quatsch und zudem Polemik ist.
Deshalb ist es wichtig, daß es solche Aktionen wie heute die Mahnwache des AK Vorrat im Vorfeld zu den Koalitionsverhandlungen gibt.

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