Zensur im Netz?

Heute morgen bzw. vormittag erreichte mich als zweite Antwort die von Herrn Dr. Gregor Gysi, Die Linke. Geschrieben hat er die zwar nicht selber, sondern Herr Liehmann im Auftrag von Herrn Gysi. Hier nun also die Antworten, die ich der Übersichtlichkeit halber etwas umformatiert habe:

Sehr geehrter Herr Juergensmann,

vielen Dank für Ihre Fragen, die ich nachfolgend im Auftrag von Herrn
Dr. Gysi beantworten möchte.

Mit freundlichen Grüßen

Dieter Liehmann

——– Original-Nachricht ——–
Betreff: Aktion “Frag deine Politiker BTW09”
Datum: Sun, 23 Aug 2009 22:21:15 +0200
Von: Ingo Jürgensmann
An: gregor.gysi@bundestag.de

> Sehr geehrter Herr Dr. Gysi,
>
> da Sie sich als Kandidat/in der Wahl zum Deutschen Bundestag am 27.
> September stellen, ist es fuer mich als Waehler und politisch
> interessierten Buerger von grossem Interesse, welche Standpunkte die
> Kandidatinnen und Kandidaten vertreten.
>
> Natuerlich kann man kein komplettes Wahlprogramm per E-Mail erfragen,
> aber eine kleine Entscheidungshilfe kann dabei schon herauskommen.
> Bereits zu den Europaparlementswahlen in diesem Jahr habe ich fuer meine
> Aktion “Frag deine Politiker” entsprechende Kandidatinnen und Kandidaten
> befragt und die Ergebnisse in meinem Weblog [1] veroeffentlicht. Diese
> Aktion wurde auch von vielen anderen Waehlern und auch befragten
> Politikern sehr positiv aufgenommen, so dass ich dies zur Bundestagswahl
> nun wiederholen moechte.
>
> Aus diesem Grund moechte ich Sie bitten, die folgenden Fragen zu
> beantworten.
> Sie muessen nicht alle Fragen beantworten. Ausfuehrliche Antworten sind
> zwar schoen, aber zur Not reichen auch ein paar Stichpunkte, denn gerade
> im Wahlkampf sind Sie als Politiker natuerlich sehr eingespannt. Von
> daher ist es auch in Ordnung, wenn einer ihrer vertrauten Mitarbeiter
> die Beantwortung der Fragen in ihrem Sinne uebernimmt.
>
> Hier nun die Fragen:
>
> 1) In den letzten Monaten wurde viel ueber das Zugangserschwerungsgesetz
> geschrieben, das die Kritiker fuer verfassungswidrig halten. Wie stehen
> Sie zu dieser Thematik und was soll die Politik tun, um
> jugendgefaehrdende Inhalte effektiv aus dem Internet zu verbannen?

Bei der Verfolgung von jugendgefährdenden Inhalten im Internet ist die
Sperrung der entprechenden Seiten kein geeignetes Instrument, zumal es
das Ziel verfehlt. Stattdessen müssen die Urheber diesbezüglicher
Seiten, deren Inhalte strafbar sind, ausfindig gemacht und bestraft werden.

> 2) Die Wirtschaftskrise dauert an und die noch amtierende
> Bundesregierung hat zwei Konjunkturpakete auf den Weg gebracht. Dennoch
> scheint das Geld nicht da anzukommen, wo es ankommen sollte. Was will
> die Politik unternehmen, damit Banken wieder an Existenzgruender und
> Unternehmer Kredite vergeben?

Die Banken vergeben keine Kredite an Unternehmen, weil sie selbst in der
Krise stecken und ihr Geld zurückhalten. Außerdem versuchen sie, durch
exorbitant hohe Überziehungszinsen und durch den Handel mit den
Staatsanleihen höhere Renditen zu erzielen. Die Alternative der Linken
ist die “schwedische Lösung”. Sie besteht darin, die maroden Banken
vorübergehend zu verstaatlichen, um sie zu zwingen, Kredite an
Unternehmen zu vergeben und die Kredite, die sie vom Staat erhalten
haben, aus ihren künftigen Gewinnen zurückzuzahlen. Tritt der Staat
dabei als Garant auf, können auch zinsgünstige Kredite an Unternehmen
durchgesetzt werden, zumal die Notenbanken den Privatbanken das Geld zu
Niedrigzinsen zur Verfügung stellt..

> 3) Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall gibt es noch immer grosse
> Unterschiede zwischen Ost und West, gerade was die
> Verdienstmoeglichkeiten angeht. Im Osten gibt es ein grosses Problem mit
> der Migration von jungen Leuten in den Westen.
> Was muss die Politik tun, um die Abwanderung zu verhinden? Kann sie
> ueberhaupt etwas tun?

Nur die Linke tritt für die Angleichung der Löhne im Osten an das
Westniveau ein und fordert daher u.a. einen gesetzlichen Mindestlohn von
10 Euro die Stunde bis zum Jahr 2013 – für Ost und West gleichermaßen.
Niedrigere Löhne im Osten haben nicht dazu beigetragen, die dortige
Arbeitslosigkeit zu verringern.
Die Abwanderung von jungen Menschen aus dem Osten kann nur gestoppt
werden, wenn ihnen im Osten selbst Perspektiven geboten werden. Das geht
nur über den Ausbau der Forschungslandschaft, der Universitäten und
durch Ansiedlungen zukunftsfähiger Industrien, die staatlich gefördert
werden müssen.

> 4) Ob Dienstwagenaffaere, Beratungsvertraege mit Firmen oder Wechsel
> direkt aus der Politik in die Wirtschaft, die man vorher als Politiker
> noch beauf- sichtigen musste – bei vielen Waehlern haben Politiker kein
> besonders hohes Ansehen, sondern gelten mitunter als raffgierig.
> Brauchen die Politiker einen Ehrenkodex oder waeren hoehere Diaeten,
> aber dafuer keine erlaubten Nebeneinkuenfte ein besserer Weg, um die
> Unabhaengigkeit der Politiker zu gewaehrleisten?

Abgeordnete brauchen keine höheren Diäten. Sie sollten durchaus auch
Nebeneinkünfte erzielen können, wenn diese offen gelegt werden, damit
die Bürger wissen, woher diese Einkünfte stammen.

> 5) Dieses Jahr ist das Grundgesetz 60 Jahre alt geworden. Welchen
> Stellenwert hat das Grundgesetz fuer Sie und fuer ihre politische
> Ansichten?
> Auf welche Aspekte des Grundgesetzes legen Sie besonders viel Wert?

Das Grundgesetz hat einen sehr hohen Stellenwert. Der Artikel 1 über die
Würde eines jeden Menschen, das Sozialstaatsgebot, die
Eigentumsverpflichtung und die demokratischen Grundrechte unserer
Verfassung sind besonders hervorzuheben.

> 6) Wenn Sie ganz alleine eine Entscheidung in der Politik durchsetzen
> koennten, welche waere das und warum?

Die Beendigung des Krieges in Afghanistan, die Rücknahme der
Rentenkürzungen, die Überwindung von Hartz IV und die Durchsetzung eines
gesetzlichen Mindestlohns.

Soweit also Gregor Gysi. Wie gewohnt nun mein Kommentar darauf:

ad 1) Daß Internetsperren kein geeignetes Instrument zur Verfolgung von jugendgefährdenden Inhalten darstellen, scheint sich ja glücklicherweise langsam bei den Politikern herumgesprochen zu haben. Nur leider noch nicht bei den Regierungsparteien, wie es scheint. Insofern freut es mich natürlich, daß Herr Gysi da mit den Forderungen der Zensurgegner übereinstimmt.

ad 2) Auch ich hab den Eindruck, daß die Banken bewußt ihr Geld zurückhalten und irgendwie noch Gewinne aus der von ihnen verschuldeten Krise schlagen wollen. Das ist für ein Wirtschaftsunternehmen, was Banken nunmal sind, sicherlich nichts schlimmes, wenn sie versuchen, Gewinne zu erwirtschaften. Aber in diesem Fall denke ich, daß eine weniger gewinnorientierte und eher auf die Volkswirtschaft abzielende Vorgehensweise besser für alle sein würde. Verstaatlichungen sind auf dem ersten Blick eine einfache Methode, Wildwüchse zu verhindern. Ob das auch auf dem zweiten Blick noch immer so ist, bin ich mir aber unsicher. Meiner Meinung nach sollten aber Banken, die Hilfe beansprucht haben, diese Hilfe erstmal mit entsprechenden Zinsen zurückzahlen, bevor sie auch nur im entferntesten wieder daran denken, irgendwelche Boni an Manager auszuschütten. Daß die Notenbanken zinsgünstig Geld zur Verfügung gestellt haben, daß aber offensichtlich nicht dem Mittelstand zur Verfügung steht, sehe ich genauso. Dies müsste aufgearbeitet werden und entsprechende Konsequenzen haben.

ad 3) Ich mache ja keinen Hehl daraus, daß ich mir eine Angleichung von West- und Ostlöhnen wünsche. Die Forderungen von Herrn Gysi nach Förderungen von Unis und Zukunftsindustrien sind verständlich und berechtigt, aber das wurde in den letzten Jahrzehnten (inzwischen) schon häufig gemacht. Irgendwie hat es nicht besonders viel gebracht, hat es zumindest den Anschein. Noch immer sind die Löhne hier niedrig und die Kosten hoch. Ich bin jedes Mal erstaunt, daß viele Sachen in Osnabrück billiger sind als hier in Rostock, wo es ja immer heißt, daß die Lebenshaltungskosten im Osten niedriger sein. Das kann ich zumindest nicht uneingeschränkt bestätigen. Eher im Gegenteil.

ad 4) Wenn ich mir einen Herrn Merz von der CDU anschaue mit seinen vielen Nebenjobs und Sitzen in Aufsichtsräten, dann hab ich so meine Bedenken, daß ein solcher Politiker noch unabhängig seine Entscheidungen treffen kann. Die Grundidee, daß die Abgeordneten weiterhin ihrem Beruf nachgehen und dadurch “in der Mitte der Gesellschaft” verbleiben, ist sicherlich eine gute Idee gewesen. Aber durch solche Extreme wie Merz, hab ich auch so meine Bedenken, ob das heutzutage immer noch eine gute Idee ist. Deshalb die Frage nach höheren Diäten, aber dafür echte Unabhängigkeit. Um den Kontakt zum Bürger zu behalten, gibt es ja inzwischen das Internet. Wer keine anderen Termine (in der Wirtschaft) hat, der kann ja dann auch mal schauen, was das Volk zu denkt und wünscht.
Mehr Transparenz ist so oder so eine hervorragende Idee. Insbesondere sollten alle Lobby-Beziehungen offengelegt werden und bei Abstimmungen oder Gesetzesverabschiedungen berücksichtigt werden.

ad 5) Herr Gysi (bzw. Herr Liehmann) führt da einen sehr interessanten Punkt an: die Eigentumsverpflichtung! Besten Dank hierfür! “Eigentum verpflichtet” – und das nicht nur dazu, sich noch mehr Eigentum zu verschaffen, sondern dazu, daß das Eigentum zu Wohl aller und nicht nur von wenigen eingesetzt wird. Das scheint in den letzten Jahren größtenteils in Vergessenheit geraten zu sein. Das bedeutet dann auch, daß die “Habenden” eben mehr Steuern zahlen müssen als diejenigen, die nicht so viel verdienen.

ad 6) Naja, die Frage war nach *einer* Entscheidung, die man alleine treffen könne. Eigentlich sind aber alle Punkte – für sich und alleine genommen – unterstützenswert. Bis auf die Rücknahme der Rentenkürzungen. Das ist ein schwieriges Thema, aber in schwierigen Zeiten können die Rentner nicht immer nur nach Rentenerhöhungen rufen, auch wenn das insbesondere dann verständlich ist, wenn die Renten niedrig sind. Aber warum müssen denn dann alle Renten gleichermaßen steigen? Wenn die Arbeitnehmer faktisch einen Nettolohnverzicht haben, dann kann man eigentlich nicht einfach die Renten erhöhen. Irgendwo muss das Geld für die Erhöhung ja herkommen. Aber es gibt ja auch Rentner, die genug verdienen. Wenn man da dann die Eigentumsverpflichtung hinzuzieht, kann man denen ja etwas weniger geben und denen, die wenig bekommen, etwas mehr. Also nicht eine Umverteilung zwischen Arbeitnehmern und Rentnern, sondern innerhalb der Rentnerschaft. Wobei wegnehmen auch schwierig ist, aber bei Erhöhungen kann man das ja entsprechend berücksichtigen, daß die Erhöhung bei niedrigen Renten stärker ausfällt und alles über einem gewissen Satz eben nicht erhöht wird.

So. Weiter zur nächsten Antwort von Hans-Joachim Hacker… 😉

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