“Das sind wir alle.”

Gestern fand im Wirtschaftsausschuß im Bundestag eine öffentliche Sitzung zum Thema Internetsperren statt. Wer wollte, konnte die Sitzung in Bild und Ton per Live-Stream verfolgen. Da nicht nur ich gestern die Debatte verfolgt habe, sondern offensichtlich auch Kai Biermann von der Zeit, gibt es heute hierzu einen netten Artikel von ihm zu lesen, in dem es unter anderem heißt:

Einen Vorteil hatte diese Anhörung: Die Debatte wird offensichtlich sachlicher. Niemand versuchte, die Befürworter als Zensoren zu verunglimpfen, keiner stellte die Kritiker in eine Ecke mit Vergewaltigern. Ja, die von 100.000 Menschen unterzeichnete Onlinepetition gegen das Gesetz kam mehrfach zur Sprache und scheint nun endlich ernst genommen zu werden.

Das ist mir auch in der Tat aufgefallen: sowohl die ePetition als auch andere Online-Quellen wie Netzpolitik wurden relativ häufig im Rahmen der Diskussion genannt. Ebenso war häufig von “Community” oder “Netzgemeinde” die Rede. Es scheint also so, als wenn der Protest bei den Politikern angekommen ist oder die Politiker sich sogar einmal selbständig im Netz umgehört hätten.
Während man von den übrigen geladenen Experten eigentlich recht sachliche Meinungen hören konnte, fiel der Vertreter des Bundeskriminalamtes (BKA) aus dem Rahmen:

Beim Bundeskriminalamt, das die Sperrlisten erstellt, teilt man all diese Bedenken nicht. Nur ein bis fünf Prozent der Beamten, die sich mit Kinderpornografie befassten, seien mit den Sperrlisten beschäftigt, sagte der Direktor beim BKA, Jürgen Maurer. Der Rest ermittele auf klassischen Wegen und gehe gegen Ersteller und Verbreiter der Inhalte vor. Es gehe also nur darum, “eine Lücke zu schließen”, der Schwerpunkt der Arbeit sei ein anderer.

Da wundert sich der Zuschauer und Zuhörer durchaus. Wenn also soviele Kriminalbeamte, die mit der Thematik Kinderpornografie befaßt sind, ihren Schwerpunkt nicht in der Erstellung und Pflege der Sperrlisten, sondern in der klassischen Ermittlungsarbeit haben, wieso müssen dann Netzaktivisten wie Alvar Freude vom AK Zensur noch selber tätig werden und lassen kurzerhand mal eben 60 KiPo-Server schließen und aus dem Netz nehmen? Wäre das nicht eher Aufgabe der Beamten gewesen? Oder anders ausgedrückt: was machen die Beamten den ganzen lieben langen Tag über? Wenn ein Einzelner innerhalb von 12 Stunden 60 Server aus dem Netz nehmen lassen kann, dann sollte das doch für deutlich mehr Beamte auch kein Problem sein, diese Server nicht nur schließen zu lassen, sondern auch die Betreiber dahinter feststellen zu lassen. Darüberhinaus muss sich das BKA dann auch die Fragen gefallen lassen, wie das denn mit den Sperrlisten erst werden soll? Was ist z.B. wenn “aus Versehen” eine Seite am Freitag Nachmittag auf der Sperrliste landet, die rein gar nichts mit Kinderpornografie zu tun hat? Muss man dann erst bis Montag warten, eh auch nur irgendwas passiert, um diese Seite von der Liste streichen zu lassen?
Weiterhin: wenn sich nur 1-5% der Beamten sich mit den Sperrlisten befassen, scheint das ja eh kein großes Ding zu sein. Warum läßt man es dann nicht gleich ganz sein und läßt diese Beamten dann auch die achso erfolgreiche Ermittlungsarbeit machen? Noch toller wird es aber hiermit:

Auch Probleme beim overblocking sah Maurer nicht. Die Wirksamkeit der Sperren “wird angenommen und kann im Einzelfall belegt werden”, auch wenn es dazu keine aussagefähigen Studien gebe.

Aha? Die Wirksamkeit der Sperren wird also nur angenommen, ohne daß es bewiesen ist, daß die Sperren wirksam sind. Und aussagefähige Studien gäbe es auch nicht. Muss man dazu noch was sagen?

Aber zum Schluß des Artikels kommt noch etwas Positives:

Und das Fazit? Franziska Heinen, die die Onlinepetition eingereicht hatte und als Zuschauerin dabei war, sagte: “Es sind eine Menge guter Fragen gestellt worden.” Schockiert sei sie über die Äußerungen des BKA. Maurer habe “ganz bewusst Fakten unterschlagen und Fragen nicht beantwortet”. Allgemein sei die Debatte jedoch sehr sachlich gewesen. Das Beste aber sei zu sehen, wie groß inzwischen das Interesse an der Debatte ist.

In der Tat fand ich die Debatte – mit Ausnahme des BKAs – sachlich geführt und sehe es auch sehr positiv, daß es inzwischen ein allgemeines Interesse an der Debatte gibt. Nicht zuletzt es ist wohl auch Franziska Heine (ohne n am Schluß) zu verdanken, daß dieses Vorhaben der Internetsperren nicht einfach still und leise durch den Bundestag gewunken wurde.

UPDATE:
Florian Sievers hat mir netterweise noch die Links zur Aufzeichnung (RealMedia) gegeben: Webseite | DSL | Modem

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