Kampagnenstart der HU: “Verfassungsschutz abschaffen!”

Letztes Wochenende, vom 7.-9. Februar, fand in Hannover der Kampagnenstart der Humanistischen Union zur Abschaffung des Verfassungsschutzes statt. Aber wieso sollte man den Verfassungsschutz abschaffen wollen? Schützt der Verfassungsschutz nicht unsere Verfassung?

Nun, übertrieben und kurz gesagt könnte man darauf antworten: “Wer glaubt, daß der Verfassungsschutz die Verfassung schützt, glaubt auch, daß Zitronenfalter Zitronen falten!”

Eine längere Begründung liefert gleich am Freitag der Rechtsanwalt und Publizist Rolf Gössner, der 38 Jahre lang durchgehend vom Verfassungsschutz beobachtet worden war. Anfang 2011 urteilte dann das Verfassungsgericht Köln, daß diese Beobachtung von Anfang bis Ende rechtswidrig war. Auch andere Beispiele wurden am ersten Tag des Kampagnenauftaktes exemplarisch genannt.

Eines der vielen Probleme des sogenannten “Verfassungsschutzes” ist bereits der Name bzw. der Begriff an sich. Beim Verfassungsschutz handelt es sich mitnichten um eine Behörde, die ein waches Auge auf Bestrebungen hat, unsere Grundrechte einzuschränken oder unsere Verfassung abzuschaffen (letzteres formell zwar vorhanden, aber… ), sondern vielmehr ist der Verfassungsschutz ein Inlandsgeheimdienst (eigentlich gibt es 17 Verfassungsschutzbehörden: eine Bundesbehörde und 16 Landesbehörden). Und als solcher sollte er auch betrachtet werden. Das heißt damit auch, daß sich dieser Inlandsgeheimdienst, ebenso wie Bundesnachrichtendienst (BND) für das Ausland und der Militärische Abschirmdienst (MAD) für die Bundeswehr, auch entsprechend wie ein Geheimdienst verhält: er operiert im Geheimen, untersteht formell, aber eher nur marginell einer demokratischen Kontrolle, der er sich zudem auch noch mutmaßlich weitgehend entziehen kann, und er steht auch außerhalb des Rechts.

Besonders kritisiert wird meistens das V-Mann-wesen, das ja auch aktuell im NSU-Prozeß in der Diskussion steht. Hierbei handelt es sich um Insider, also z.B. bei neonazistischen Organisationen, die vom Inlandsgeheimdienst angeworben und auch für Informationen bezahlt werden. Im Fall des NSU sollen so Geldmittel aus den Verfassungsschutzämter an das Trio geflossen sein, u.a. um gefälschte Pässe zu bezahlen.

Auch beim NPD-Verbotsverfahren von 2001-2003 spielten V-Männer eine unrühmliche Rolle und führten schließlich dazu, daß das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Parteiverbotsverfahren eingestellt hat. Alles in allem erscheint der Inlandsgeheimdienst namens “Verfassungsschutz” unbrauchbar für die Aufgabe zu sein, die Verfassung zu schützen. Vielmehr stellt er für viele Kritiker eher eine Bedrohung der in unserer Verfassung (Grundgesetz) garantierten Grundrechte dar, wie ja auch die unrechtmäßige Überwachung über 38 Jahre hinweg eindrücklich zeigt.

Als einen weiteren Kritikpunkt an den Verfassungsschutzämtern wird außerdem häufig hervor gebracht, daß der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge nahezu blind, aber auf dem linken Auge überempfindlich ist. So landen häufig Initiativen, die sich mit ihrer Arbeit gegen Rechtsradikalismus und neonationalistische Organisationen einsetzen, in den Verfassungsschutzberichten der Länder. Furore machte auch z.B. die Erwähnung der Punkband “Feine Sahne Fischfilet” im Verfassungsschutzbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern, die die Band erst bundesweit bekannt machte.

Deshalb haben wir beim Kampagnentreffen am Samstag Arbeitsgruppen gebildet, um in den nächsten 2-3 Jahren gezielter daran zu arbeiten, den Verfassungsschutz im Grunde abzuschaffen, was an und für sich erst einmal eine radikale Forderung und langfristiges Ziel ist. Natürlich ist uns auch bewußt, daß man nicht einfach den Verfassungsschutz abschaffen kann. Da bedarf es noch viel Aufklärung, bis es soweit ist, daß dies eine breite gesellschaftliche Forderung wird. Auf dem Weg dorthin lassen sich aber auch schon kleinere Schritte machen, etwa indem mehr Transparenz hergestellt, mehr Kontrolle ausgeübt und das V-Leute-wesen abgeschafft wird.

Mehr Transparenz:
Als Inlandsgeheimdienst versucht der Verfassungsschutz natürlich, wie die Bezeichnung schon verdeutlich, im Geheimen zu operieren. Dadurch und durch die fehlende wirksame Kontrolle verselbständigt sich der Geheimdienst. Er definiert selber, was nun “verfassungsgefährdend” sei und wann er anfängt zu ermitteln oder Beobachtungen anstellt. Wann etwas als links- oder rechtsextremistisch gilt oder gar gegen die freiheitlich-demokratische Grundordung (fdGO) gerichtet ist, ist nicht eindeutig definiert, sondern der Verfassungsschutz definiert hier seine eigenen Begriffe. Das muss ein Ende haben.
Ebenso sollten Überwachungen dem Überwachten mitgeteilt werden, sobald sich nach einer angemessen Frist (3-6 Monate) keine Anhaltspunkte für rechtstaatliche Ermittlungsverfahren ergeben haben. Jede Überwachung durch den Staat stellt im Grunde einen Eingriff in die Grundrechte des Einzelnen dar, insbesondere dann, wenn entsprechende Überwachungsmaßnahmen wie Telekommunikationsüberwachung (Abhören) angewandt wurden. Man kann sich allerdings nur gegen unrechtmäßige Eingriffe in seine Grundrechte wehren, wenn man davon Kenntnis hat. Deshalb muss hier mehr Transparenz geschaffen und notfalls auch das eine oder andere Gesetz geändert werden, zum Beispiel im G10-Gesetz zu Art. 10 GG.

Mehr Kontrolle: 
Ähnlich wie bei der Transparenz verhält es sich bei der Geheimdienstkontrolle: durch seine Arbeit im Geheim und der Geheimniskrämerei an sich, ist es nicht möglich, Geheimdienste wirkungsvoll zu kontrollieren. Ohne Transparenz keine Kontrolle. Erst wenn man weiß, was der Geheimdienst macht, kann man diesen auch kontrollieren. Die Kontrolle muss dabei sowohl rechtstaatlich als auch demokratisch sein, d.h. sowohl Klagen gegen Maßnahmen der Geheimdienste müssen ermöglicht als auch die Aufsicht und Kontrolle durch gewählte Volksvertreter gestärkt werden. Eine geheim tagende G10-Kommission entspricht nicht den heutigen Maßstäben an Transparenz und reicht damit nicht aus. Eventuell wäre es sinnvoll, unabhängige Ausichtsposten zu schaffen: ähnlich wie es Datenschutzbeauftragte in Bund und Ländern gibt, könnte es Geheimdienstbeauftragte geben, die entsprechende Kontrollen ausüben können und unabhängig sind.

V-Leute abschaffen:
Wie der NSU-Skandal und das NPD-Verbotsverfahren exemplarisch gezeigt haben, schaden V-Leute eigentlich mehr als daß sie nutzen. Deshalb gehören sie so schnell wie möglich abgeschafft!

Eine weitere Forderung der Humanistischen Union ist es, auch die Betätigung des Verfassungsschutzes an Schulen zu stoppen. Was viele gar nicht wissen: ähnlich wie die Bundeswehr, versuchen die Verfassungsschutzämter Zugang zu Schulen und insbesondere auch Lehrern zu erhalten. Das findet meistens im Rahmen von Informationsveranstaltungen über Extremismus statt, wo in aller Regel ein Schwerpunkt auf Linksextremismus gelegt, aber Rechtsextremismus weitestgehend ignoriert wird. Deshalb auch die Forderung: Geheimdienste haben an Schulen nichts zu suchen!

Doch zurück zum Kampagnenstart: Am Sonntag fand dann ein kleine Demo vor dem Landesverfassungsschutzamt Niedersachsen in Hannover statt, bei der das Amt schonmal symbolisch geschlossen wurde. Einen Bericht inklusive einem Video findet sich auf dem Kampagnenblog http://www.verfassung-schuetzen.de/, wo es auch noch mehr Informationen über die Kampagne gibt, u.a. auch das Memorandum zur Abschaffung des Verfassungsschutzes mit der Internationalen Liga für Menschenrechte und dem Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen.

Selbstverständlich ist die Kampagne auch für Andere offen und freut sich über Unterstützung und Mitarbeit! Am 20. Februar soll es zum Beispiel in Berlin zum Verabschiedung des interfraktionellen Antrags zu den Ergebnissen des NSU-Untersuchungsausschusses eine weitere Aktion vor dem Bundestag geben. Wer also voraussichtlich um ca. 11 Uhr dann Zeit und Lust hast, ist in Berlin herzlich willkommen!

Übrigens: 
Beim Thema Transparenz könnt ihr auch selber aktiv werden! Auf der Webseite https://www.datenschmutz.de findet ihr einen Generator, mit dem ihr Auskunftsersuchen an verschiedene Verfassungsschutz- und Landeskriminalämter (und Wirtschaftsauskunfteien) stellen könnt. Macht das ruhig mal! Vielleicht bekommt ihr auch eine überraschende Antwort wie der eine oder andere Teilnehmer beim Kampagnenstart, daß der jeweilige Verfassungsschutz euch bereits überwacht hat als ihr mal ein alternatives Zentrum besucht habt?

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