Auch Ralf Mucha von der SPD hat gestern abend noch auf die Fragen bei der Aktion "Frag deine Politiker" geantwortet und ist somit der Dritte im Bunde und der Zweite von der SPD:
1.) Die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl 2006 lag bei 59,1%, 2002 jedoch noch bei 70,6%. Würde dieser Trend bestehen, würden dieses Jahr weniger als 50% der Wahlberechtigten zur Wahl gehen. Wie kann man, ihrer Meinung nach, den Bürger wieder für die Politik begeistern oder sehen Sie einen Unterschied zwischen Politikverdrossenheit und Wahlverdrossenheit?
Wir müssen unsere Politik und unsere Entscheidungen immer wieder erklären. Die Folgen von vielen Entscheidungen betrifft einen Großteil der Bevölkerung. Deshalb sind wir Politiker in der Pflicht auch außerhalb des Wahlkampfes auf die Straße zu gehen und uns den Fragen und der Kritik zu stellen. Außerdem könnte ich mir vorstellen Plebiszite einzuführen. BürgerInnen können sich dann mit der Entscheidung besser identifizieren und werden sich mit der Materie beschäftigen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Schulen im Sozialkundeunterricht auch bei unseren Kindern das Interesse für Politik wecken.
Daß die Transparenz und Offenheit in der Politik zu verbessern ist, darüber sind sich wohl die meisten einig. Intransparente Entscheidungen, die der Bürger nicht versteht, werden auch selten dessen Zustimmung erfahren. Dadurch wird dann wiederum nur die Ansicht, daß "die da oben" eh machen, was sie wollen, verstärkt. Plebiszite sehe ich im Hinblick auf Populismus etwas kritisch, bin aber durchaus dafür, da mal mehr Experimente zu wagen und zu sehen, wie es sich entwickelt. So finde ich das von der Enquetekommission verwendete Adhocracy-Tool sehr gut, auch wenn ich bisher noch keine Zeit/Gelegenheit hatte, mich dort einzubringen.
Politik bei Kindern zu wecken, stell ich mir schwierig vor. In der Schule hatten wir zwar auch Sozialkundeunterricht und haben dort einige interessante Themen durchgenommen, aber so das große politische Interesse entwickelt sich wohl meistens erst später. Dennoch ist es natürlich gut, auch schon in der Schulzeit einen Grundstock an politischem Wissen zu legen.
2.) Im März gab es in Japan neben einer Naturkatastrophe auch noch einen atomaren Unfall. Dadurch hat sich die Stimmung in Sachen Atompolitik auch in Deutschland gewandelt. Die Bundesregierung reagierte mit dem erneuten Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022. Gleichzeitig sollen die erneuerbaren Energien gefördert werden. Wie sehen Sie diese Entwicklung und welche Bedeutung hat dies für Mecklenburg-Vorpommern?
Es ist sehr gut, dass Frau Merkel und Herr Westerwelle sich endlich gegen Atomstrom entschieden haben. Und sich so auch entschieden haben, ihren Freunden der Atomlobby nicht mehr die Millionen in den Rachen zu schmeißen. Nun aber zu den Entwicklungen für MV und gerade auch Rostock. Wir sind der Standort der es leisten kann Off- und Onshore Anlagen herzustellen. Das ist eine große Chance für die Wirtschaft in Rostock und MV. Außerdem bin ich der Meinung unser Energiebedarf kann zu großen Teilen aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Dafür müssen wir gemeinsam arbeiten.
Ich denke auch, daß es in MV noch genügend Potential gibt. Bei einem Besuch letztens in meiner alten Heimat Osnabrück war zum Beispiel deutlich zu sehen, daß dort sehr viele Häuser Solarpanele auf dem Dach hatten. Da gibt es noch viel zu tun in MV.
3.) Im Jahr 2007 fand in Heiligendamm der G8-Gipfel statt. Zu diesem Zweck wurden einige Gesetze erlassen und technische Maßnahmen ergriffen (z.B. Überwachungskameras), um die Sicherheit der G8-Teilnehmer zu gewährleisten. Im Frühjahr diesen Jahres wurden diese ursprünglich befristeten Gesetze entfristet, u.a. auch das Kfz-Screening, bei dem zehntausende von Kennzeichen automatisch erfasst und mit einer Datenbank abgeglichen wurden. Dabei wurden hauptsächlich Verstöße gegen das Haftpflichtversicherungsgesetz festgestellt, jedoch kein einziger Terrorist entdeckt. Wie stehen Sie zu der Entfristung dieser Gesetze?
Sehr sehr kritisch. Besonders Schade finde ich es, dass man sich in dieser Frage (wie auch zu anderen Fragen) nicht einmal mehr auf die FDP verlassen kann.
Das war auch mal ein wichtiges Thema für liberale Politik, da wurde versagt. Ich sehe Überwachungsstaaten immer kritisch. Das war in der DDR üblich, dass will ich nicht wieder erleben. Außerdem finde ich nicht, dass man alle BürgerInnen unter Generalverdacht stellen sollte.
Um mal auch etwas kritisches in Richtung SPD zu sagen: die Vorratsdatenspeicherung, die ja alle Menschen in der Bundesrepublik unter Generalverdacht stellt und deren Kommunikationsverhalten ausspioniert, ist am 30. November 2007 mit den Stimmen der CDU und der SPD in der großen Koalition beschlossen worden. Derzeit steht einer Wiederauflage der VDS nur die FDP in Person von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger entgegen. Auch aus den Reihen der SPD wird dann und wann mal wieder die Vorratsdatenspeicherung gefordert. Aber es ist trotzdem gut zu hören, daß sich die Basis der SPD dagegen ausspricht. Nun muss das dann nur noch "oben" ankommen.
4.) Anfang des Jahres kam es in Tunesien, Ägypten und anderen Ländern zu Unruhe und teilweise zu erfolgreichen Revolutionen, die wie im Fall Syrien immer noch andauern und mitunter von den Machthabern blutig niedergeschlagen werden. Dabei spielt das Internet eine wichtige Rolle bei der Organisation von Protesten, so daß die Machthaber den freien Zugang zum Internet kontrollieren, einschränken oder gar komplett unterbinden. Wie stehen Sie zu dieser Art von Einflussnahme auf das Internet?
Internet muss für alle zugänglich sein. Gerade weil dadurch schnell und gut relativ objektive Informationen zu verbreiten sind. Deshalb sollten solche Instrumente, das Internet von gesamten Ländern abzuschalten verboten werden. Leider kann MV dazu aber nichts beitragen, da dies Bundesgesetzgebung ist. Was ich allerdings in Ordnung finde, ist es Seiten mit kriminellen, kinderpornographischen und menschenverachtenden Inhalten zu löschen
Da MV auch im Bundesrat vertreten ist und die weitaus größere Zahl der Gesetze wohl durch den Bundesrat einer Zustimmung bedürfen, kann natürlich auch MV hier einen Einfluß ausüben. Darüberhinaus werden wohl auch die Abgeordneten des Landtages mit den Bundestagsabgeordneten der gleichen Partei reden, so daß auch hier entsprechend Einfluß genommen werden kann.
Was das Löschen statt Sperren angeht, kann ich natürlich nur zustimmen, allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, daß das Löschen alleine auch nichts nützt, wenn dann keine Strafverfolgung geschieht. Im Grunde ist das Löschen ja auch eher mit "den Server bzw. die Inhalte vom Netz nehmen und für die Strafverfolgung verwertungssicher aufbewahren" gemeint.
5.) Nach dem 11. September 2001, also vor fast 10 Jahren, wurden zahlreiche Gesetze erlassen, die die Sicherheit der Bürger erhöhen sollen, aber gleichzeitig deren Freiheitsrechte einschränken. Im den Artikeln 1-19 des Grundgesetzes wird 20 mal der Begriff "Freiheit" aufgeführt, aber nur 2 mal der Begriff "Sicherheit". Wie stehen Sie zum Grundgesetz, der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der Balance von Freiheit und Sicherheit?
Teilweise steht eine Antwort schon in 3. Ich möchte auch noch kurz an das Buch von George Orwell "Big Brother is watching you" erinnern. Natürlich ist das alles ein wenig überspitzt aber von der Tendenz kann man erkennen, was Überwachungsstaat heißt.
Dagegen wehre ich mich! Freiheit ist eines der wichtigsten Grundwerte unseres Sozialstaates und muss verteidigt werden.
Wer Orwells Buch kennt und sich mal die Gesetzgebung nach dem 11. September 2001 anschaut, der erkennt, daß wir von der Buchvorlage leider nicht mehr allzu weit entfernt sind. Bereits die Sprache orientiert sich an Orwells Neusprech-Vorlage, wie neusprech.org sehr schön demonstriert. Wir haben bereits in weiten Teilen eine Art von Überwachungsstaat. Vielleicht nicht unbedingt die Bundesrepublik, aber mit den USA einen sehr engen Verbündeten, der scham- und grenzenlos auf große Datenbanken zugreift.
6.) Die Proteste um die Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofes unter die Erde (Stuttgart21) ziehen sich schon seit letztem Herbst hin. Die Menschen dort finden sich offensichtlich nicht mit dem Bauvorhaben ab, da sie nicht den Nutzen sehen oder der Meinung sind, bei der Planung sei nicht alles mit rechten Dingen abgelaufen. Mithin wird Stuttgart21 als ein Meilenstein der Bürgerbeteiligung betrachtet. Die Bürger sollen frühzeitig und dauerhaft in die Planungen von großen Bauvorhaben einbezogen und beteiligt werden. Wie stehen Sie zu Bürgerbeteiligung?
Sehr sehr positiv. Schon in Frage 1 habe ich Plebiszite angesprochen. Politiker müssen sich vor Augen führen, dass sie mit Steuergeldern des Bürgers arbeiten. Dann bin ich schon der Auffassung, dass BürgerInnen auch mitsprechen dürfen und sollen.
Ich finde, es ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn die Wähler nicht nur alle 4 Jahre als Stimmvieh herhalten müssen, sondern auch darüberhinaus ihre Meinungen abgeben und Einfluß nehmen können. Über die genaue Art und Weise muss man sich dann vielleicht nochmal unterhalten.
7.) In einigen Ländern wie den USA (data.gov) und Groß-Britannien (data.gov.uk) gibt es Projekte, die öffentliche Daten bzw. Daten der öffentlichen Hand der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Um diese Daten herum haben sich viele interessante Projekte entwickelt. Den Themenbereich kann man mit den Schlagworten Open Data, Open Access und Open Government umschreiben. Wie stehen Sie zu Open Data und Open Government?
Auch da bin ich leider kein Experte. Ich wüsste allerdings Spontan nicht, was gegen Open Data spricht. Leider ist das ein sehr spezielles Thema in dass ich mich erst einarbeiten muss.
Das Leiden der Politiker: sie werden mit vielen Themen konfrontiert, von denen sie keine Ahnung haben. Deshalb ist es wichtig, daß die Gesetzgebung den Politikern genügend Zeit läßt, um sich in ein Thema einzuarbeiten. Sie müssen ja dann keine Experten auf jedem Gebiet werden, aber grundlegendes Wissen sollten sie schon haben, eh sie über diese Themen und Gesetzesvorlagen abstimmen. Bei der heutigen Hektik im politischen Betrieb ist das wohl nicht mehr möglich.
8.) In den Parlamenten, egal ob Bund, Land oder Stadt, gibt es Politiker, die für gewöhnlich Mitglied einer Partei sind. Bei Abstimmungen wird häufig nach Fraktionsdisziplin abgestimmt. In Artikel 38 GG steht aber, dass Abgeordnete "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sind. Sollten Politiker bei Abstimmungen mehr auf ihr Gewissen hören und weniger auf die Fraktionsdisziplin?
Natürlich werde ich mir meine Meinung bilden, und danach entscheiden. Sollte es nicht um mein Fachgebiet gehen werde ich möglichst viel lesen und mit Befürwortern und Gegner sprechen (das auch im Fachgebiet, aber da habe ich ja schon eine gut ausformulierte Meinung) und dann in der Abwägung aller Argumente mich dafür oder dagegen entscheiden. Keine Rolle soll irgendeine Fraktionsdisziplin spielen. Alle Abgeordnete sind selbstständig denkende Menschen.
Und dennoch sind zumindest im Bundestag die wirklich freien Abstimmungen eher selten, was ich schade finde.
9.) Zum Schluß: was ist ihr ganz persönliches Herzensthema in der Politik?
Naja ganz klar aus meiner Arbeit heraus die Kinder- und Jugendarbeit in MV. Kinder sind unsere Zukunft und wir dürfen niemanden zurück lassen.Da muss der Staat besonders drauf achten.
Andere aus meiner Sicht wichtige Themen sind ein gutes umfassendes Bildungssystem, vernünftige Arbeitsplätze (Flächendeckender Mindestlohn) sowie der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Nicht zu vergessen die Leistungen und Versorgung unserer Senioren und Seniorinnen!
Kinder, Bildung und Mindestlohn. Damit kann man ja eigentlich kaum was falsch machen. Leider aber spart die Politik gerade gerne in den Bereichen Soziales/Kinder und Bildung.
Vielen Dank an Herrn Mucha für seine Antworten!
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