Nach dem Erdbeben und dem Tsunami und dem damit verbundenen GAU in Fukushima musste man nicht lange darauf warten, daß die ersten Politiker zwar ihre Bestürzung über das Unglück in Japan geäußert haben, aber auch sagten, daß die deutschen Atomkraftwerke ja sicher seien. Frank Schirrmacher hat mal dankenswerterweise das Neusprech der Atomlobbyisten bei der FAZ entschlüsselt und kommentiert. Ein Beispiel:
7. Die Chance/das Risiko, dass es zu einem Super-Gau kommt, ist extrem unwahrscheinlich
Die Chance, im Lotto einen Sechser mit Superzahl zu bekommen, steht bei 1:136 Millionen. Trotzdem wird er in regelmäßigen Abständen gewonnen. Das hat natürlich mit der Vielzahl der Spieler zu tun. Genauso wird die Chance eines Super-Gaus immer wahrscheinlicher, je mehr Atomkraftwerke entstehen. Die Chance, dass man sich beim Lotto den Jackpot noch mit anderen teilen muss, ist trotz der mikroskopischen Wahrscheinlichkeit immer noch gegeben. Die Chance, dass der Super-Gau von allen und ihren Nachkommen getragen werden muss, ist absolut sicher. Wir wetten nicht darüber, dass es nicht passiert, sondern nur, dass es nicht jetzt passiert. Bei einer genügend hohen Anzahl an Mitspielern wird es passieren.
Mir ging in den letzten Tagen auch dieser Punkt im Kopf herum. Es wird ja immer behauptet, daß so ein GAU höchstens alle 100.000 Jahre (oder so in etwa) passieren würde. Wer sich aber schonmal mit der Fehlerhäufigkeit von Festplatten (MTBF), insbesondere von großen Festplatten in einem RAID, befaßt hat, weiß, daß eine Angabe von 300.000 Stunden zwischen zwei Fehlern sich aufsummiert. Manchmal wird auch die Fehlermöglichkeit in Bytes angegeben. Etwa: alle 2 Mrd. Bytes tritt ein Fehler auf. Nun: 2 Mrd. Bytes sind in Zeiten von 2 TB Platten nicht mehr so viel. Habe ich nun zum Beispiel vier Platten im Rechner steigt die Chance, daß ein Fehler alle 500 Mio. Bytes auftritt. Oder alle 75.000 Stunden.
Genauso verhält es sich auch mit den Atomkraftwerken. Wenn in einem Atomkraftwerk nur alle 100.000 Jahre mit einem GAU zu rechnen ist, dann reduziert sich die Zeitspanne bei 100 Kraftwerken schon auf alle 1.000 Jahre. Bei 10.000 Kraftwerken gäbe es gar alle 10 Jahre einen GAU. Nun beziffert Wikipedia die Anzahl der Atomkraftwerke weltweit auf 443 Reaktoren in Betrieb, 62 im Bau und weitere 158 Anlagen sind in Planung. Das ergibt dann in etwa alle 200 Jahre einen GAU. Theoretisch.
Praktisch und realistisch betrachtet gab es seit den 50er Jahren, als das erste AKW im russischen Obninsk in Betrieb ging, jedoch zahlreiche Unfälle in Atomkraftwerken, bei denen Radioakivität entwichen ist:
- 1952 – Chalk River, Kanada, ca. 400 TBq, INES 5
- 1957- Kyschtym, Sowjetunion, INES 6
- 1957 – Sellafield, Großbritannien, INES 5
- 1959 – Simi Valley, USA, INES 5-6
- 1661 – Idaho Fall, USA, INES 4
- 1969 – Rocky Flats, USA, INES 4-5
- 1973 – Sellafield, Großbritannien, INES 4
- 1974 – Leningrad, Sowjetunion, INES 4-5
- 1974 – Leningrad, Sowjetunion, 55 PBq, INES 4-5
- 1979 – Three Mile Island/Harrisburg, USA, INES 5
- 1982 – Tschernobyl, Sowjetunion, INES 5
- 1985 – Wladiwostock, Sowjetunion, INES 5
- 1986 – Tschernobyl, Sowjetunion, INES 7
- 1990 – Sewersk, Russland, INES 2-4
- 1999 – Tōkai-mura, Japan, INES 4-5
- 2011 – Fukushima, Japan, INES 6
16 Vorfälle in den letzten 60 Jahren, bei denen Radioaktivität in die Umwelt entwichen ist. Unfälle gab es noch mehr, aber da blieben die Folgen glücklichweise örtlich sehr begrenzt. Man sieht aber, daß man weit von der Mär "alle 100.000 Jahre" entfernt ist und sich eher im Bereich von wenigen Jahren (60/16=3.75 Jahre) befindet, in denen GAUs weltweit passieren.
Aber auch die anderen Neusprech-Mythen der Atomlobby werden von Frank Schirrmacher nett widerlegt.