Klimagipfel, Kopenhagen und Pressefreiheit

Die Autorin Juli Zeh, die auch bereits mit Ilija Trojanow zusammen das empfehlenswerte Buch “Angriff auf die Freiheit” geschrieben hat, beleuchtet nun zusammen mit Rainer Stadler in “Süddeutsche Zeitung Magazin” in einem längeren Artikel den Fall eines Studenten, der in das Visier der Behörden geraten ist.

In einem Klima der Angst ist jeder verdächtig. Das merkte ein marokkanischer Student, der während des Oktoberfestes inhaftiert wurde – ohne Tatverdacht.

Nungut, könnte man denken, so ganz ohne Grund wird das wohl nicht abgelaufen sein. Aber was macht einen marokkanischen Studenten so verdächtig, daß er inhaftiert wurde?

Natürlich würde kein Vertreter des deutschen Staates auch nur andeuten, dass er einen Mann wie Samir nach Haut- und Haarfarbe oder gar nach seiner Religion beurteilt. Auch Wolf-Dieter Remmele nicht, Chef des Verfassungsschutzes im bayerischen Innenministerium. Er beteuert, dass es den Nachrichtendiensten »nicht um den Islam als Religion, sondern um den Islamismus als politische Bestrebung gegen unsere Verfassung« gehe.

Undenkbar, daß jemand allein anhand seiner Religion in das Visier der Behörden gerät, oder?
Wer das denkt, sollte den Artikel unbedingt selber lesen, denn es kommt noch toller! Der “Verdächtige” kannte nämlich jemanden, der jemanden kennt, der… oder anders ausgedrückt: er kannte Leute, die angeblich etwas mit dem “Pressesprecher für Deutschland” von Al-Qaida zu tun hatten. Äußerst verdächtig! Der Artikel führt hierzu aus:

Weil theoretisch jeder Mensch ein Attentat planen könnte, aber nicht jeder beschattet werden kann, muss der Kreis der Zielpersonen irgendwie eingegrenzt werden. Dabei richten sich die Ermittler nach Kriterien, die nach dem Gleichheitsprinzip gerade nicht zur Beurteilung von Menschen herangezogen werden sollen: Alter, Geschlecht, Religion, soziale Netzwerke. Der Präventionsstaat kollidiert also zwangsläufig mit dem Rechtsstaat, der verteidigt werden sollte.

Um ihren massiven Eingriff zu rechtfertigen, gibt sich die Polizei alle Mühe, Samir als höchst gefährlich erscheinen zu lassen. Seine Freunde heißen in dem Observationsbericht »Kontakt- und Vertrauenspersonen«; sein Bekanntenkreis ist ein »Geflecht«. Dass er sich in der Moschee mehrmals mit einem Bekannten unterhielt und beide das Gebäude »jeweils getrennt voneinander« verließen, wird als verdächtig eingestuft; ebenso wie der Umstand, dass Samir sich von der Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden belästigt fühlte. »Der Betroffene zeigte sich äußerst misstrauisch« und »versuchte, seine Verfolger abzuschütteln«. Weil Samir sich nicht in aller Ruhe von Unbekannten fotografieren und verfolgen ließ, schließen die Ermittler daraus, dass er »Freiraum für Aktivitäten gewinnen« wollte.

Die Tatsache, dass Samir vor seiner Festnahme zweimal bei der Polizei anrief, um Hilfe gegen seine Verfolger zu erbitten, fehlt in dem Bericht. Aus gutem Grund: Der besagte Artikel 17 greift nur, wenn die Behörden nachweisen, dass die Zielperson eine schwere Straftat begehen wird und nur durch Inhaftierung davon abzuhalten ist. Aber ruft ein Attentäter allen Ernstes kurz vor dem Anschlag zweimal bei der Polizei an? Das muss selbst eine in Terrorangelegenheiten unerfahrene Ermittlungsrichterin misstrauisch machen.

Richtig! Der “Verdächtige” hat sich mehrmals zuvor bei der Polizei gemeldet, weil die Observatoren, die ihn beobachtet haben, ziemlich stümperhaft vorgegangen sind und er sich dadurch bedroht gefühlt hatte. Deshalb rief er die Polizei an. Dies wird nun aber vor der Ermittlungsrichterin gegen ihn verwendet. Dort hieß es, daß er “versuchte, seine Verfolger abzuschütteln”, um “Freiraum für Aktivitäten gewinnen”. Un-glaub-lich!
Wie würde man selber reagieren, wenn man sich beobachtet fühlen würde? Natürlich würde man sich bei der Polizei melden und versuchen, den Verfolgern zu entkommen, die sich nicht als Polizisten zu erkennen gegeben haben. Doch daraus dreht die Polizei nun eine Belastungssituation für den “Verdächtigen”.

Der Artikel spricht viele Punkte an, wo man sich eigentlich nur an den Kopf fassen und ungläubig fragen kann, ob das wirklich so passiert? Hier in Deutschland? Mitten unter uns? In einem (vermeintlichen) Rechtsstaat? Zum Beispiel fragt der Artikel, völlig zu Recht:

Dabei bleiben viele Fragen offen: Warum sollten Terroristen, die einen Anschlag planen, davor warnen? Weder die Attentäter des 11. September 2001 noch die sogenannte Sauerland-Gruppe stellten Botschaften ins Netz. Junge Muslime, mutmaßen die Behörden, könnten sich doch von den aktuellen Drohvideos zu einer spontanen Aktion ermuntert fühlen.

Es geht also gar nicht um konkrete Gefahren, die es abzuwehren gilt, sondern um eine diffuse und lebendig gehaltene Gefahrenstimmung, die auch von den Behörden, also Polizei und Nachrichtendienste, fleißig geschürt wird. Denn je größer die Angst der Bevölkerung ist, desto besser lassen sich Maßnahmen rechtfertigen, die die Leute ohne dieses diffuse und eigentlich nicht-existente, aber vielfach herbeigeredete Gefahrenspotential niemals akzeptieren würden.

Eigentlich ist es auch schwierig, den Artikel in kurzen Worten zusammen zu fassen, da er soviele Unglaublichkeiten konzentriert, daß man eigentlich gar nicht weiß, wo man mit dem Aufregen anfangen soll? Also lest den Artikel am besten selber!

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2 thoughts on “Klimagipfel, Kopenhagen und Pressefreiheit

  1. Also in Anbetracht dessen was da am “Klimagipfel” passiert ist wäre es eigentlich eher angebracht wenn die Presse so eine Veranstaltung generelle bokottieren würde.
    Meines Erachtens würde es völlig reichen erst hinterher, an Hand der dann verkündeten “Ergebnisse” die dann dazu passende Berichterstattung durchzuführen.
    So weit ich das nun überblicke bleibt als einziges Ergebnis, dass das Temperaturziel von maximal 2°C plus anerkannt wurde. Toll!
    Ich habe daraufhin sofort einen privaten Gipfel veranstaltet und in Absprache mit meinem Umfeld sogar einstimmig festgelegt, das wir ab nächstem Jahr ein Monatseinkommen von 5000 Euro nicht unterschreiten wollen.

    Alles was recht ist – dass bei diesem Klimagipfel vor allem schön geredet werden würde und nicht viel herauskommen wird habe ich befürchtet – dass aber von vielen Industriestaaten nicht mal “schön geredet” wird enttäuscht mich maßlos.

  2. Ja, im Grunde ist der Klimagipfel eher ein Gipfel des Scheiterns der internationalen Politik: dort wurde mal wieder gezeigt, dass es den Politikern nicht um die Loesung von Problemen geht, sondern um die Durchsetzung ihrer bzw. der Positionen der Lobbyisten im Hintergrund.

    Traurig. Fuer die Politik insgesamt.

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