Neue Parteienlandschaft

Heute traf die Antwort von Dr. Harald Terpe von Bündnis90/Die Grünen ein. Leider hat er nicht persönlich geantwortet, sondern eine Mitarbeiterin – zumindest kam die Mail von der Mitarbeiterin, der Text spricht aber durchaus stellenweise in der Ich-Form. Es kann also sein, daß Herr Terpe schon die Antworten selber verfasst hat, aber die Mitarbeiterin mir diese dann in seinem Namen zugeschickt hat. Hier nun die Antworten:

Sehr geehrter Herr Jürgensmann,

Hier die Antworten von Herrn Dr. Terpe auf Ihre Fragen.

Mit freundlichen Grüßen,

Julia Wuttke

1) In den letzten Monaten wurde viel über das Zugangserschwerungsgesetz geschrieben, das die Kritiker für verfassungswidrig halten. Wie stehen Sie zu dieser Thematik und was soll die Politik tun, um jugendgefährdende Inhalte effektiv aus dem Internet zu verbannen?

Die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie gehören zu den widerwärtigsten Straftaten und muss konsequent und nachhaltig bekämpft und verfolgt werden – national wie international. Bereits heute gibt es das Mittel der richterlichen Sperrverfügung im Einzelfall, bereits heute können Angebote im Netz gelöscht und können gegen die Hersteller, Verbreiter und Besitzer von Kinderpornografie Strafverfahren eingeleitet werden. Dafür muss die Polizei entsprechend ausgestattet werden und über das nötige Wissen verfügen. Auch die internationale Zusammenarbeit muss verbessert werden.

Der Aufbau einer umfassenden Sperrinfrastruktur schafft aus unserer Sicht die Möglichkeit einer allgemeinen Zensur von Inhalten im Internet. Wir Grüne sprechen uns daher gegen eine solche, rechtsstaatlich problematische Einrichtung aus. Im Vordergrund muss die Verhinderung von Missbrauch, die Beschlagnahmung und Vernichtung bzw. Löschung kinderpornographischen Materials, die Verfolgung der Täter und ihrer Netzwerke und die intensive Hilfe für die Opfer durch Schutz und Rehabilitation stehen.

2) Die Wirtschaftskrise dauert an und die noch amtierende Bundesregierung hat zwei Konjunkturpakete auf den Weg gebracht. Dennoch scheint das Geld nicht da anzukommen, wo es ankommen sollte. Was will die Politik unternehmen, damit Banken wieder an Existenzgründer und Unternehmer Kredite vergeben?

Wir wollen langfristig wirksame Maßnahmen, keine schnellen Strohfeuer. Diese langfristige Orientierung macht auch Sinn, weil niemand absehen kann, wie lange die Krise noch anhalten wird. Auch das Konjunkturpaket der Koalition wirkt, wenn überhaupt, nur zeitverzögert. Die meisten Vorhaben der Konjunkturpakete der Bundesregierung sind immer noch in der Planungsphase oder scheitern an Kompetenzstreitigkeiten.

In der jetzigen Situation brauchen wir ein nachhaltiges Investitionsprogramm mit Investitionen in Klima, Gerechtigkeit und Bildung. Staatliche Investitionen haben in der Krise den größten Multiplikator und wirken dadurch sehr viel stärker. Die Grüne Ausrichtung auf Investitionen in Klima, Gerechtigkeit und Bildung haben darüber hinaus die höchste „Rendite“ und nutzen auch zukünftigen Generationen.

Finanzminister Steinbrück beschäftigt sich, wie schon vor der Krise, vor allem damit, ob es den Banken gut geht. Wichtig ist aber jetzt vor allem, dass diese nun wieder die Wirtschaft mit Krediten versorgen. Die langfristige Fähigkeit der Banken, neues Kreditgeschäft zu betreiben, muss bei der Frage der Bankenrettung immer im Vordergrund stehen. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die jetzigen Rettungsaktionen nicht die Basis für neue Risikogeschäfte in der Zukunft legen. Im Zentrum der Überlegungen muss also die “good bank” stehen, nicht die “bad bank”. Das heißt konkret: Verpflichtende Teilnahme aller in Deutschland operierender Banken an Stresstests nach US-Vorbild. Besteht eine Bank den Stresstest nicht, muss diese Bank der Aufsicht ein Auslagerungsmodell vorlegen. Die Lasten dieser Bad Bank tragen ausschließlich Altaktionäre und – wenn das nicht ausreicht – die alten Fremdkapitalgeber (Debt for Equity Swap). So ist die verbleibende Good Bank frei von bestehenden Lasten und wieder in der Lage, ausreichend Kredite zu vergeben. Sie ist attraktiv für neue Risikokapitalgeber, da sie an Verlusten aus Altlasten nicht beteiligt werden. Fremdkapitalgeber werden künftig genauer hinschauen, bevor sie ihr Geld zur Finanzierung undurchsichtiger Finanzgeschäfte zur Verfügung stellen.


3) Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall gibt es noch immer große Unterschiede zwischen Ost und West, gerade was die Verdienstmöglichkeiten angeht. Im Osten gibt es ein großes Problem mit der Migration von jungen Leuten in den Westen.
Was muss die Politik tun, um die Abwanderung zu verhindern? Kann sie überhaupt etwas tun?

Die Entwicklung einer Region allein als Arbeitsraum reicht nicht aus, damit Menschen dort eine Perspektive für sich sehen. Regionen müssen daher auch aktiv als Lebensraum gestaltet werdet. Investitionen in Gemeinwesen und soziale Infrastruktur sind darum gleichbedeutend mit der Entwicklung von Wirtschaft und Versorgungsinfrastruktur.

Bündnis 90/Die Grünen wollen die jeweiligen Stärken der ostdeutschen Regionen gezielt fördern, um Ostdeutschland als guten Arbeits- und Lebensraum zu erhalten. Bildung und Wissenschaft sind für uns die größten Standortvorteile Ostdeutschlands. Hierin müssen die Mittel aus dem Solidarpakt fließen.

Um die Regionen als Lebensräume zu stärken, brauchen wir zudem starke Kommunen, die unter Einbeziehung der BürgerInnen regionale Konzepte und Lösungen entwickeln. Jede Region, ob urban oder ländlich, ist durch spezifische Eigenheiten gekennzeichnet, die jeweils Herausforderungen und Chancen eröffnen. Hierfür brauchen wir neue flexible und bedarfsgesteuerte Lösungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge statt an alten teuren Regelungen festzuhalten.

Der Ausbau der Bildungs-, Ausbildungs- und Weiterbildungslandschaft und die Entwicklung der ostdeutschen Regionen zu familienfreundlichen Regionen sind gerade auch für junge Menschen, die am Anfang ihres Berufslebens und vor der Familiengründung stehen, wichtige Anreize. Um die Attraktivität Ostdeutschlands für Fachkräfte zu stärken, setzen Bündnis 90/Die Grünen zum einen auf eine gute Aus- und Weiterbildungslandschaft und zum anderen auf die familienfreundliche Entwicklung der Regionen. Wir fordern den weiteren Ausbau der flächendeckenden Betreuungsinfrastruktur für Kleinkinder und des schulischen Bildungsangebotes. Zudem muss Familienfreundlichkeit zum Maßstab der Stadtplanung werden.

4) Ob Dienstwagenaffäre, Beratungsverträge mit Firmen oder Wechsel direkt aus der Politik in die Wirtschaft, die man vorher als Politiker noch beaufsichtigen musste – bei vielen Wählern haben Politiker kein besonders hohes Ansehen, sondern gelten mitunter als raffgierig. Brauchen die Politiker einen Ehrenkodex oder wären höhere Diäten, aber dafür keine erlaubten Nebeneinkünfte ein besserer Weg, um die Unabhängigkeit der Politiker zu gewährleisten?

Der Austausch von Politik und Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern ist wichtig für eine funktionierende Demokratie. Lobbyistentätigkeit muss aber für die Öffentlichkeit transparent sein und sie muss nach klar definierten Regeln erfolgen. Allen Interessengruppen sind – unabhängig von der finanziellen Ausstattung – die gleichen Zugangsmöglichkeiten zu Abgeordneten und zur Exekutive einzuräumen. In einem Bundestagsantrag haben wir daher die Errichtung eines verbindlichen öffentlichen Registers für Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter (Lobbyistenregister) gefordert. In dem Register soll die Tätigkeit von im Bereich von Bundesregierung und Deutschem Bundestag tätigen Lobbyistinnen und Lobbyisten im Detail erfasst werden (BT-Ds. 16/13174).

Wir wollen eine Karenzzeit für ehemalige Funktionsträger, wie es sie auf europäischer Ebene gibt, sodass ein unmittelbarer Wechsel aus dem Bereich, in dem man vorher im Rahmen politischer Ämter regulierend tätig gewesen ist, in die Unternehmen nicht mehr möglich ist. Ein entsprechender Bundestagsantrag der grünen Fraktion (BT-Ds. 16/948) orientiert sich an einer vergleichbaren Regelung, die es für Beamte in § 69a BBG gibt.

Die noch unter Rot-Grün beschlossenen Regelungen zur Transparenz von Nebentätigkeiten von Abgeordneten haben wir maßgeblich mitgestaltet. Sie sollen nicht jegliche wirtschaftliche Betätigungen von Abgeordneten diskreditieren oder unmöglich machen. Sie sollen lediglich verhindern, dass über die wirtschaftlichen Interessen der Abgeordneten auf die Ausübung ihres Mandats in illegitimer Weise Einfluss genommen wird. Wir haben u.a. durchgesetzt, dass die Wahrnehmung des Amtes im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Abgeordneten steht, Abgeordnete außer Spenden keine Zuwendungen ohne entsprechende Gegenleistung entgegennehmen dürfen, die Anzeigepflichten gegenüber dem Bundestagspräsidenten erweitert wurden und ein Sanktionssystem in Form von Ordnungsgeldern vorgesehen wurde.

Die neuen Transparenzregeln sind ein richtiger Schritt. Wir wollen sie beibehalten, sie sind gut für das Ansehen der parlamentarischen Demokratie und schützen das Parlament vor wirtschaftlicher Einflussnahme. Jeder Aufweichung der Transparenzregeln werden wir uns entschieden widersetzen. Wir Grüne hätten uns seinerzeit noch mehr Transparenz gewünscht. Dafür gab es aber keine Mehrheit im Bundestag. Wir werden aber dafür Sorge tragen, dass eventuelle Lücken oder Unstimmigkeiten im Hinblick auf mehr Transparenz beseitigt werden.


5) Dieses Jahr ist das Grundgesetz 60 Jahre alt geworden. Welchen Stellenwert hat das Grundgesetz für Sie und für ihre politischen Ansichten? Auf welche Aspekte des Grundgesetzes legen Sie besonders viel Wert?

Mein politisches Engagement wurde entscheidend durch die Wendezeit 1989 geprägt. Daher weiß ich, wie wichtig Freiheit und Demokratie für die Bevölkerung eines Landes sind. Das Grundgesetz verkörpert für mich bestimmte Grundwerte wie freie, geheime und gleiche Wahlen oder das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, die ich in einer Gesellschaft für unabdingbar halte. Auch das Sozialstaatsprinzip halte ich bedeutend, weil es für ein friedliches Zusammenleben einer Gesellschaft wichtig ist, dass man Solidarität mit Schwächeren übt. Ich würde mir wünschen, wenn in der nächsten Wahlperiode auch Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden. Einen entsprechenden Antrag meiner Fraktion habe ich in dieser Wahlperiode unterstützt.

6) Wenn Sie ganz alleine eine Entscheidung in der Politik durchsetzen könnten, welche wäre das und warum?

Ich finde es ungerecht, dass die gute und gesunde Entwicklung der Kinder vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist. Kinder benachteiligter Eltern sollen die gleichen Chancen haben wie Kinder wohlhabender Eltern. Deswegen würde ich eine Kindergrundsicherung durchsetzen.

Wie man sieht hat Herr Terpe sehr ausführlich geantwortet, was natürlich sehr schön ist. Darum gleich mal weiter zu meinem Kommentar:

ad 1) Bei der Abstimmung zum ZugErschwG hat sich Herr Terpe noch der Stimme enthalten. Nun spricht er sich eindeutig für eine vernünftige Bekämpfung des Kindesmißbrauchs und gegen Zensur im Internet aus. Man könnte meinen, daß er lediglich auf die Parteilinie umgeschwenkt ist. Da sich Herr Terpe aber im Juli mit Netzaktivisten aus Rostock zu einem Gespräch getroffen hat und sich von diesen hat informieren lassen, glaube ich vielmehr daran, daß er seine Meinung wirklich geändert hat. Ein Plusplunkt also für Herrn Terpe und vor allem für den Dialog zwischen Netzaktivisten und Politikern! 🙂

ad 2) Schnelle Strohfeuer will wohl niemand. Daß über Bad Banks die Risiken ausgelagert werden sollen, finde ich auch etwas befremdlich. Die Medien sind bereits wieder voll davon, wie gut es den Banken bereits wieder vielfach geht und was für tolle Gewinne gemacht werden. Insofern halte ich das Auslagern von faulen Krediten an Bad Banks auch für verkehrt. Das hat mal wieder was von “Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren” an sich. Die langen Wartezeiten, bis sich die Konjunkturpakete auswirken, halte ich auch für eine Fehlleistung der Regierung, genauso wie die zwar schnelle, aber ziemlich kurz gedachte Abwrackprämie. Da hätte nur mal ein verantwortlicher Politiker 5 min nachdenken müssen, daß Leute, die sich heute ein Auto kaufen, dies nächstes Jahr nicht wieder machen werden. Die Krise wird also nur verschleiert und nach hinten geschoben – auf den Zeitraum nach der Bundestagswahl.

ad 3) Diese Antwort hört sich für mich schon sehr nach Politikersprache an. Trotzdem sind da natürlich ein paar wahre Punkte enthalten, die aber meiner Meinung nach etwas im seichten Tenor untergehen. Die Förderung vom sozialem Umfeld ist natürlich genauso wichtig für die Entwicklung einer Region wie die Arbeitsplatzpolitik. Insofern wäre es schön gewesen, ein paar klarere Worte z.B. auch zu der Situation der Theater in Rostock und Schwerin, die ja zusammengelegt werden sollen, zu hören. Hinsichtlich der Familienfreundlichkeit der Region frage ich mich z.B. ganz konkret, warum die Parkstraße in Warnemünde ohne Tempolimit ist? Ok, innerorts 50 km/h, aber die Autos parken dort dich an dicht, es wird viel ein- und ausgestiegen und viele Leute laufen über die Straße, inkl. Kindern. Das ist aber wohl eher ein Thema für die Kommunalpolitik… 😉

ad 4) Auch in diesem Punkt gehe ich weitgehend konform mit Herrn Terpes Antwort. Ja, Lobbyismus ist wichtig und notwendig für die Politik. Aber es muss offen und transparent sein und darf nicht so ausarten, wie es derzeit ist, wenn Mitarbeiter von Konzernen in Ministerien an Gesetzen mitarbeiten. Das ist erstmal grundverkehrt und nicht transparent. Einige Politiker gehen ja aber auch schon mit positiven Beispiel voran und veröffentlichen Lobbykontakte entsprechend auf ihrer Homepage.
Die geforderte Karenzzeitregelung entspricht sogar genau dem Vorschlag der Fragen aus einem Kommentar vom Aufruf zu dieser Aktion. Insofern also eine gute Antwort von Herrn Terpe.

ad 5) Freiheit ist in der Tat mit der wichtigste Aspekt im Grundgesetz. Und damit ist nicht nur die Freiheit gemeint, dahin reisen zu können, wohin man will, sondern echte Freiheit des Bürgers gegenüber dem Staat als der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Grundgesetzes. Deshalb freue ich mich, daß Herr Terpe den Begriff “Freiheit” explizit genannt hat. Ich werde demnächst zu diesem Thema auch nochmal gesondert etwas schreiben.

ad 6) In der Tat geht die Schere zwischen arm und reich wieder extrem auseinander, so daß die Bildungschance für Kinder wieder extrem vom Kontostand der Eltern abhängt. Dies belegen auch mehrere internationale Studien. Somit ist die Antwort auch eine gute Antwort von Herrn Terpe.

Insgesamt also eine schöne Antwort, wie ich finde, von Herrn Terpe. Leider hab ich aber stellenweise das Gefühl, daß es vielleicht aus dem Parteiprogramm herauskopiert wurde. Ist ja nichts schlimmes, wenn es halt die Meinung von Herrn Terpe entsprechend widergibt, aber es hört sich halt entsprechend an.
Gerade in Hinblick auf die Netzsperren und die Zensurinfrastruktur hab ich echte Hoffnung, daß das Rostocker Gespräch mit den Netzaktvisten einiges an Aufklärung gebracht und ihm geholfen hat, seine Meinung zu ändern.

Mehr zu Herrn Terpe gibt es dann morgen… 😉

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