Frühling ist…

Artikel 5 des Grundgesetzes besagt:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Doch seit heute Vormittag ist das Grundgesetz mal wieder ad absurdum geführt worden. Wobei: eigentlich wird es “nur” von der Regierung und einigen großen deutschen Providern wissentlich ignoriert, denn heute Vormittag haben die Provider Deutsche Telekom, Vodafone/Arcor, Hansenet/Alice, Telefonica/O2 und Kabel Deutschland mit der Familienministerin Ursula v.d. Leyen einen Vertrag zum Zensieren des deutschen Internets unterzeichnet, wie Heise berichtet. Offiziell heißt es, daß damit die Verbreitung von Kinderpornografie verhindert werden soll. Daß das Mittel “DNS” hierzu völlig ungeeignet ist und sich leicht umgehen läßt, hat die Familienministerin gekonnt ignoriert. Die beteiligten Unternehmen aber leider auch.
Von einer Zensur im Sinne des GG zu sprechen, ist natürlich schon ein bißchen überspitzt. Niemand wird Kinderpornografie unter den Schutzmantel von freier Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild stellen wollen, aber wenn erstmal ein vermeintliches Mittel gegen unerwünschte Inhalte etabliert ist, sind andere Begehrlichkeiten meistens nicht weit.

Deshalb regt sich natürlich auch wieder mehr oder weniger kreativer Protest. So gibt es auf zensursula.de ein Wiki mit entsprechendem Themenschwerpunkt. Dort findet man auch eine Zensursula-Grafik oder Links zu T-Shirt-Versendern:

Zensursula-Grafik von Martin Haase

Doch was ist nun so schlimm daran, den Zugriff auf Kinderporno zu erschweren, mag sich mancher denken?
Die Antwort ist relativ einfach, aber dennoch umfangreich:

  1. Die verwendete Methode über den DNS (Nameserver) ist zum einen leicht zu umgehen, indem man einfach einen Nameserver benutzt, der nicht zensiert ist.
  2. Zum anderen setzt sie an der falschen Stelle an. Nur weil man für einen kleinen Teil des Internets eine sinnlose DNS-Sperrliste einrichtet, hört das Problem “Kinderpornografie” nicht auf zu existieren. Stattdessen sollte das BKA lieber seine Zeit dahingehend investieren, daß die Server, auf denen entsprechendes Material liegt stillgelegt und der entsprechende Betreiber zur Rechenschaft gezogen wird. Idealerweise kommt man so auch an die Hersteller dieses Materials heran.
  3. Besteht erst einmal eine Zensur bzw. eine Sperrliste, so ist die Versuchung groß, auch andere Inhalte “verschwinden” zu lassen. Auf der australischen Sperrliste fanden sich einige Fehler, wie Heise (u.a.) berichtete.
  4. Dadurch, daß die Sperrliste geheim bleiben soll, ist dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet. Zumal wohl das BKA die Sperrliste betreibt, verwaltet und entscheidet, welche Seiten auf die Liste kommen. Durch diese Intransparenz fehlt das Korrektiv, das in einer Demokratie eigentlich selbstverständlich sein sollte und Basis eben dieser ist. Nicht umsonst gibt es eine Gewaltentrennung, doch bei der Sperrliste entscheidet nur eine Stelle. Eine Kontrollmöglichkeit ist weder vorgesehen noch beabsichtigt.
  5. Auch Mißbrauchsopfer sind gegen die Internetsperren, wie man einem Artikel bei Zeit Online entnehmen kann:

    Denn die Regierung will nur die Verbreitung der “Dokumentation des Missbrauchs” einschränken, nicht den Missbrauch selbst. Sie können natürlich vor das Bild ein Laken hängen, das Bild aber hängt dann noch immer dort. Die Inhalte werden weiter verbreitet. Statt nur Listen auszutauschen, könnte man doch mit vereinten Kräften daran arbeiten, diese Inhalte dauerhaft aus dem Netz zu entfernen. Denn bisher geht es nur um diese Sperrlisten, nicht um Ermittlungsverfahren.

    Das BKA ist noch dazu beim Aufhängen dieses Lakens Ankläger, Ermittler und Richter in einer Person. Wo bleibt da die Gewaltenteilung, wenn kein Gericht eingeschaltet wird? Wo bleibt die grundgesetzliche Rechtsweggarantie? Die wird damit ausgehebelt. Es wird eine schleichende Internetzensur aufgebaut, keine Strafverfolgung. Das alles ist nur möglich, weil das Tabu Kinderpornografie instrumentalisiert wird: Das ist so böse, da darf man gar nicht offen drüber diskutieren. Das ist das gleiche Muster wie in den Familien, in deren Umfeld Missbrauch geschieht.

Daß es der Familienministerin offenbar an Ernsthaftigkeit bei dem Thema fehlt, sieht man auch sehr schön im obigen Interview, wenn Bahls darüber spricht, daß Server mit Kinderporno, die in Deutschland stehen, offenbar nicht abgeschaltet werden.

Justizministerin Zypries, die ja sonst auch eher durch Amtshilfe für unseren Innenminister Schäuble aufgefallen ist, steht der Aktion ihrer Regierungskollegin im übrigen skeptisch gegenüber und befürwortet eine rechtliche Grundlage für eine solche Sperrliste. Doch ich vermute, daß auch bei einer solchen rechtlichen Grundlage wieder einmal das Bundesverfassungsgericht tätig werden und das Vorhaben auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüfen muss.

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