Frag deine Politiker 2011 – Michael Rudolph, Piratenpartei antwortet

Als kleine Partei hat die Piratenpartei offensichtlich schwer mit all den Aufgaben, Anfragen und Terminen im Wahlkampf, so daß Johannes Loepelmann im Auftrag vom Landesvorsitzenden Michael Rudolph auf meine Fragen gestern geantwortet hat. Bei den Piraten hatte ich nur Michael Rudolph angeschrieben, weil zu dem Zeitpunkt der Fragestellung für mich auf der Webseite nicht ersichtlich war, wer die Kandidaten sind. Sonst hätte ich da auch drei Kandidaten angeschrieben. Aber bis heute um Mitternacht können ja auch noch andere den Fragenkatalog beantworten und mir zuschicken. Wobei das nun auch keine harte Deadline ist, bloß irgendwann musste ich ja den Termin setzen.

Hier also nun die Antworten von Michael Rudolph bzw. Johannes Loepelmann: 

1.) Die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl 2006 lag bei 59,1%, 2002 jedoch noch bei 70,6%. Würde dieser Trend bestehen, würden dieses Jahr weniger als 50% der Wahlberechtigten zur Wahl gehen. Wie kann man, ihrer Meinung nach, den Bürger wieder für die Politik begeistern oder sehen  Sie einen Unterschied zwischen Politikverdrossenheit und Wahlverdrossenheit?

Ich denke hier kann man beides nicht eindeutig voneinander trennen. Durch Enttäuschungen über die politische Führung auf inhaltlicher wie auch personeller Ebene verlieren die Menschen immer mehr das Vertrauen in Politiker und Parteien. Viele stellen sich berechtigerweise die Frage, wen man denn noch wählen kann, denn für sie fehlt eine ernstzunehmende Alternative. Wir als Piraten stellen eine solche dar, indem wir das Ziel verfolgen, jeden Bürger mehr in die Entscheidungsfindungen einzubeziehen – auch außerhalb einer anstehenden Wahl. Demokratie lebt von der Beteiligung des Volkes und dem muss man wieder mehr Bedeutung zukommen lassen.
Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Transparenz, gerade in den Entscheidungsfindungsprozessen. Nur wenn der Bürger nachvollziehen kann, aus welchem Grund Entscheidungen getroffen wurden, kann man auch wieder Vertrauen in das Handeln der gewählten Volksvertreter fassen. Dazu gehört auch die Offenlegung aller wichtigen Entscheidungen- als Beispiel seien hier einmal die Atomtransporte über den Rostocker Hafen genannt, die lange Zeit geheim gehalten wurden.

Mehr Transparenz und mehr Bürgerbeteiligung sind offensichtlich *die* Themen in diesem Wahlkampf und das ist auch gut so!

2.) Im März gab es in Japan neben einer Naturkatastrophe auch noch einen atomaren Unfall. Dadurch hat sich die Stimmung in Sachen Atompolitik  auch in Deutschland gewandelt. Die Bundesregierung reagierte mit dem erneuten Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022. Gleichzeitig sollen die erneuerbaren Energien gefördert werden. Wie sehen Sie diese Entwicklung und welche Bedeutung hat dies für Mecklenburg-Vorpommern?

Die Piraten hatten schon vor der Katastrophe in Japan in ihrem Grundsatzprogramm festgelegt, dass wir für einen schnellen Ausstieg aus der Kernenergie stehen. Dass es erst zu einem solchen Unglück kommen muss, um ein Umdenken in der Politik zu erreichen, ist traurig.
Mecklenburg-Vorpommern profitiert von den erneuerbaren Energiequellen mehrfach. Zum einen der ökologische Aspekt, denn Emissionen durch Abgase werden erheblich und nachhaltig reduziert. Zum anderen aber auch der ökonomische, denn Anlagen regenerativer Energien sind nur auf den ersten Blick teurer und rechnen sich bereits nach ein paar Jahren. Zu guter Letzt ist M-V aber auch ein Industriestandort für international agierende Unternehmen im Bereich regenerative Energien. Diese Vorreiterrolle muss weiter ausgebaut und das Potential M-Vs im Einklang mit den Bürgern unbedingt noch stärker genutzt werden. Durch die günstige geographische Lage im Bezug auf Windenergie (viele freie Flächen und Felder sowie Ostseezugang für Offshore-Windanlagen) dürften vermehrt Investitionen in das Land getätigt werden.

Natürlich bietet Mecklenburg-Vorpommern sehr gute Voraussetzung für Windparks. Andererseits hilft es natürlich auch nichts, wenn die Investitionen zwar hier im Land getätigt werden, die damit erzielten Umsätze aber zum Beispiel nach Baden-Württemberg fließen.

3.) Im Jahr 2007 fand in Heiligendamm der G8-Gipfel statt. Zu diesem Zweck wurden einige Gesetze erlassen und technische Maßnahmen ergriffen (z.B. Überwachungskameras), um die Sicherheit der G8-Teilnehmer zu gewährleisten. Im Frühjahr diesen Jahres wurden diese ursprünglich befristeten Gesetze entfristet, u.a. auch das Kfz-Screening, bei dem zehntausende von Kennzeichen automatisch erfaßt und mit einer Datenbank abgeglichen wurden. Dabei wurden hauptsächlich Verstöße gegen das Haftpflichtversicherungsgesetz festgestellt, jedoch kein einziger Terrorist entdeckt. Wie stehen Sie zu der Entfristung dieser Gesetze?

Es ist erschreckend, dass unter dem Deckmantel der Suche nach Terroristen die Freiheit der Bürger immer weiter eingeschränkt wird, indem man den Ängsten der Menschen spielt. Überwachung steht im absoluten Kontrast zur Unschuldsvermutung, also jenem Prinzip, welches als Grundlage unseres Rechtsstaates gilt. Wir Piraten haben mehrmals zeigen können, dass eine stärkere Überwachung nicht automatisch auch eine verbesserte Sicherheit nach sich zieht. Unserer Ziel ist es, dass nicht ein Organ des Staates die Menschen überwacht sondern dass die Menschen den Staat überwachen. Von daher lehnen wir diese Entwicklung entschieden ab. Die Piraten setzen sich für einen Rückbau der wenig effektiven aber umso mehr die persönliche Freiheit einschränkenden Überwachungskameras ein, Gesetze wie das angesprochene zum Kennzeichenscreening müssen abgeschafft werden.

Wenig verwunderlich, daß ich diesem Standpunkt nichts hinzuzufügen habe. 😉

4.) Anfang des Jahres kam es in Tunesien, Ägypten und anderen Ländern zu Unruhe und teilweise zu erfolgreichen Revolutionen, die wie im Fall Syrien immer noch andauern und mitunter von den Machthabern blutig niedergeschlagen werden. Dabei spielt das Internet eine wichtige Rolle bei der Organisation von Protesten, so daß die Machthaber den freien Zugang zum Internet kontrollieren, einschränken oder gar komplett unterbinden. Wie stehen Sie zu dieser Art von Einflußnahme auf das Internet?

Zu versuchen das Internet zu kontrollieren zeugt einerseits vom fehlenden Wissen über diese Technik von Seiten der Politiker und andererseits von einem Verlangen nach Kontrolle des Informationsflusses um gezielt eigene Interessen zu schützen.
Es gibt bis heute keine stichhaltigen Argumente, die die Forderung nach einer stärkeren Regulierung des Internets in Deutschland oder sonstwo unterstützen. Das Internet ist trotz Behauptungen einiger Politiker kein „rechtsfreier Raum“ und unsere Gesetze sind ausreichend, teilweise allerdings veraltet und nicht auf die neuen Gegebenheiten angepasst.
Wissen, Informationen und Kommunikation einzuschränken ist der falsche Weg. Aufklärung, Bildung und mediale Kompetenz fördern der richtige – und genau dafür und für die Netzneutralität setzen wir uns Piraten ein.
Eine Einschränkung oder komplette Blockade der freien Kommunikation, auch nur vorübergehend, lehnen wir entschieden ab und werden uns gegen jedwede Entwicklungen in diese Richtung stemmen.

Auch hier hab ich grundsätzlich nichts hinzuzufügen.

5.) Nach dem 11. September 2001, also vor fast 10 Jahren, wurden zahlreiche Gesetze erlassen, die die Sicherheit der Bürger erhöhen sollen, aber gleichzeitig deren Freiheitsrechte einschränken. Im den Artikeln 1-19 des Grundgesetzes wird 20 mal der Begriff "Freiheit" aufgeführt, aber nur 2 mal der Begriff "Sicherheit". Wie stehen Sie zum Grundgesetz, der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der Balance von Freiheit und Sicherheit?

Einer der wesentlichen Grundsatzpunkte der Piraten ist der Schutz der Freiheit vor übermäßigen Bestrebungen, eine gefühlte Sicherheit durch die Einschränkung der Freiheit zu schaffen. Viele der damals und auch später eingeführten Gesetze schaffen effektiv wenig zusätzliche Sicherheit für den Bürger, dafür aber übermächtige Sicherheitsapparate mit sehr ausgeweiteten Befugnissen, die nur schwer überblickt oder kontrolliert werden können. Die Piraten setzen sich daher entschieden für eine Reduzierung der Sicherheitsgesetze ein, gerade auch Entwicklungen wie die Installation von Ganzkörperscannern an Flughäfen und andere noch relativ frische Bestimmungen zeigen uns sehr deutlich, dass es wichtig ist, die Freiheit des Bürgers zu verteidigen. Sicherheit ist kein Selbstzweck sondern sollte dazu dienen, die Freiheit zu schützen. Zu diesem Grundsatz müssen wir zurückkehren.

Die meisten anderen befragten Kandidatinnen und Kandidaten sind auch für die Abschaffung dieser Gesetze. Da frage ich mich aber: wenn in den Parteien ein so breiter Konsens darüber besteht, wieso haben wir diese Gesetze dann überhaupt noch und wie kam nun die neuerliche Verlängerung zustanden? Und auch: wie schafft man es, diese Gesetze so schnell wie möglich zu Fall zu bringen?
Ich könnte mir gut vorstellen, daß dies ein zentrales Thema für das netzpolitische Bier Rostock werden könnte.

6.) Die Proteste um die Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofes unter die Erde (Stuttgart21) ziehen sich schon seit letztem Herbst hin. Die Menschen dort finden sich offensichtlich nicht mit dem Bauvorhaben ab, da sie nicht den Nutzen sehen oder der Meinung sind, bei der Planung sei nicht alles mit rechten Dingen abgelaufen. Mithin wird Stuttgart21 als ein Meilenstein der Bürgerbeteiligung betrachtet. Die Bürger sollen  frühzeitig und dauerhaft in die Planungen von großen Bauvorhaben einbezogen und beteiligt werden. Wie stehen Sie zu Bürgerbeteiligung?

Die Piraten setzen sich für mehr direkte Bürgerbeteiligung in dem politischen Entscheidungsprozess ein. Wir möchten gerade bei wichtigen Entscheidungen Formen der Bürgerbeteiligung wie Foren während der Diskussionsphase oder auch Volksentscheide zu umstrittenen Vorhaben stärker anwenden. Wichtig ist hier natürlich auch wieder ein sehr transparenter politischer Prozess. Nur wenn alle Informationen auch öffentlich für alle zugänglich sind ist es möglich, dass der Bürger sich selbst ein umfassendes Bild zu dem entsprechenden Vorhaben machen kann.

Wie bereits mehrfach gesagt, ist eine größere Bürgerbeteiligung nicht nur bei den Parteien insgesamt das Thema schlechthin, sondern auch bei den Bürgern. Insgesamt ist die Absicht aller, mehr Bürgerbeteiligung zu leben, durchweg begrüßenswert. Allerdings sehe ich hier die Piraten mit ihren Tools durchaus in einer Vorreiterstellung.

7.) In einigen Ländern wie den USA (data.gov) und Groß-Britannien (data.gov.uk) gibt es Projekte, die öffentliche Daten bzw. Daten der öffentlichen Hand der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Um diese Daten herum haben sich viele interessante Projekte entwickelt. Den Themenbereich kann man mit den Schlagworten Open Data, Open Access und Open Government umschreiben. Wie stehen Sie zu Open Data und Open Government?

Open Data bzw. Open Government gehören zu den Kernthemen der Piraten: Wir setzen uns für eine umgehende und gut zugängliche (maschinenlesbare) Veröffentlichung aller wichtigen (und auch unwichtigen) Dokumente aus öffentlichen Behörden und Institutionen ein. Dies gilt natürlich nur für Dokumente, die nicht in das persönlichkeitsrecht von Privatpertsonen eingreifen- solche Dokumente müssen natürlich zunächst entsprechend bereinigt werden. Wir wissen, dass durch die Zugänglichmachung von öffentlichen Daten viele sinnvolle und innovative Projekte entstehen, die auch für die Bürger einen direkten Vorteil versprechen. In diesem Zusammenhang haben wir uns auch im Frühjahr mit Dr. Marcus Dapp ausgetauscht, welcher in München das Projekt ‘mogdy’ (Munich Open Government Day) betreut hat und zu einem Vortrag an der Universität Rostock hierher kam.
Für die Piraten ist zudem der Aspekt des freien Zugangs zu Forschungsergebnissen und Lehrmitteln, die an Hochschulen entstehen, wichtig. Mit Steuermitteln finanzierte Forschung sollte für den Bürger (Steuerzahler) frei zugänglich sein; ein Student sollte nicht für Lehrmittel (wie z.B. Vortragsfolien) an der Universität bezahlen müssen.

Ich denke, daß auch in Rostock viel Potential in Sachen Open Data und Open Access brach liegt, gerade auch in Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der Uni. Da geht sicherlich noch was!

8.) In den Parlamenten, egal ob Bund, Land oder Stadt, gibt es Politiker, die für gewöhnlich Mitglied einer Partei sind. Bei Abstimmungen wird  häufig nach Fraktionsdisziplin abgestimmt. In Artikel 38 GG steht aber, daß Abgeordnete "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" sind. Sollten Politiker bei Abstimmungen mehr auf ihr Gewissen hören und weniger auf die Fraktionsdisziplin?

‘Fraktionsdisziplin’ ist als solches nicht in unserem demokratischen System vorgesehen. Insofern sind Abgeordnete der Piraten vor allem ihrem eigenen Gewissen verpflichtet, wobei sie natürlich als Piraten hinter unserem Grundsatzprogramm sowie als Kandidaten zur Wahl hinter unserem Wahlprogramm stehen und dieses dann auch entsprechend im Parlament umsetzen werden. Eine Abstimmung als Block, z.B. um damit einer anderen Fraktion die Abstimmung zu verbauen, wird bei den Piraten jedoch nicht vorkommen. Ein Abgeordneter ist zuallerest dem Bürger und seinen Wählern verpflichtet, die ihn aus einem bestimmten Grund gewählt haben. Dies sollte also die oberste Handlungsmaxime sein.

Dem hab ich nichts hinzuzufügen.

9.) Zum Schluß: was ist ihr ganz persönliches Herzensthema in der Politik?

Als freiberuflicher Softwareentwickler, der auch im Bereich eneuerbare Energien aktiv ist, liegen mir natürlich besonders die Förderung der regenerativen Energien sowie ein schneller und flächendeckender Ausbau der Breitbandversorgung im Land am Herzen. Zudem möchte ich mich für eine Stärkung der Freiheit im Land einsetzen und neue sowie schon bestehende Sicherheitsgesetze genau überprüfen und gegenbenenfalls bekämpfen.

Vielen Dank an Michael Rudolph bzw. Johannes Loepelmann und auch hier wieder die Einladung zum netzpolitischen Bier Rostock am 13. September ab 18 Uhr und viel Erfolg bei der Wahl!

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