Die FDP und die Vorratsdatenspeicherung

Im Netz war heute wohl das Eckpunktepapier der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) das Gesprächsthema Nummer 1. Darin spricht sie sich für eine Art "Quick Freeze Plus" aus, wie Heise schreibt

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich mit ihrem Vorstoß für ein Modell "Quick Freeze Plus" mit einer siebentägigen Speicherung von IP-Adressen erwartungsgemäß zwischen alle Stühle gesetzt. Das Eckpunktepapier (PDF-Datei) zur "Sicherung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet" greife zu kurz, erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums laut dpa. Ressortchef Thomas de Maizière (CDU) sei aber diskussionsbereit.

Der CDU gehen die Vorschläge erwartungsgemäß natürlich nicht weit genug, wie Heise weiter ausführt: 

Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, betonte gegenüber dem Kölner Stadtanzeiger, dass die Union den Vorschlag "so mit ziemlicher Sicherheit nicht übernehmen" werde. Das Einfrieren von Verbindungs- und Standortdaten funktioniere nicht. Man gewinne dabei nicht genügend Informationen, um einen Sachverhalt aufklären zu können. Der Bundesvorstand der CDU hatte zuletzt am Wochenende im Rahmen einer "Mainzer Erklärung" (PDF-Datei) gefordert, die Vorratsdatenspeicherung "zügig" zu ermöglichen. Der Terrorismus müsse auch in Zukunft "mit einem starken Staat" bekämpft werden. Anfang des Jahres hatte sich bereits die CSU dafür eingesetzt.

Der Begriff des "starken Staates" ist natürlich, nunja, typischer Duktus einer konservativen Denkweise, in der der Staat stark sein müsse. Dies beinhaltet natürlich auch die Sichtweise, daß der Staat über dem Bürger stehen würde. Schließlich muss der Staat ja die Bürger schützen und dies beinhaltet folgerichtig, daß er das nur kann, wenn er wie ein Schäfer über seine Schäfchen wacht. Genau dies ist aber eben nicht die Intention des Grundgesetzes, die den Staat an die Grundrechte in den Artikel 1-19 binden. Dies aber nur nebenbei.

Der Aufschrei im Netz ist somit also auch nicht ohne Grund und durchaus berechtigt. Der AK Vorrat hat umgehend einen offenen Brief an die Justizministerin veröffentlicht, den man bei Netzpolitik im Browser lese kann:. Dort kritisiert der AK Vorrat die Abkehr Leutheusser-Schnarrenbergers von ihrer bisherigen strikten Ablehnung der VDS: 

Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wir schätzen Ihren persönlichen langjährigen und konsequenten Einsatz für die Grund- und Freiheitsrechte sehr und haben großen Respekt davor. Im Hinblick auf die große Verantwortung, die Sie als Bundesjustizministerin tragen, appellieren wir an Sie, die Idee einer einwöchigen Vorratsspeicherung aller Internetverbindungen aufzugeben und entsprechend der Linie Ihrer Partei jeder verdachtsunabhängigen Speicherung von Kommunikations- und Verbindungsdaten, die der grundgesetzlich geschützten Sphäre privater Lebensführung zuzurechnen sind, unabhängig von der Dauer der Speicherung entschieden entgegen zu treten.

Gerade in der jetzigen politischen Situation brauchen wir Ihre Unterstützung bei unserer Werbung für das Modell einer gezielten Strafverfolgung, das sich neben Deutschland auch in vielen weiteren Staaten wie Österreich, Schweden, Griechenland und Kanada bewährt hat. Bitte fallen Sie uns bei unserem europaweiten Werben für gezielte Strafverfolgung nicht zur Unzeit in den Rücken, sondern unterstützen Sie unsere europaweite Koalition gegen Vorratsdatenspeicherung nach Kräften.

Es ist in der Tat bemerkenswert, daß sich die Justizministerin gerade jetzt für eine solche Vorratsdatenspeicherung Light ausspricht. Nicht nur der AK Vorrat kritisiert das Eckpunktepapier, sondern ntürlich auch Netzpolitik.org in mehreren Artikeln und auch Heribert Prantl in einem Kommentar bei der Sueddeutschen:

Zwei völlig verschiedene Grundansätze stehen sich nun gegenüber: Der Innenminister und die CDU/CSU wollen sämtliche Telekommunikationsdaten aller Bürger speichern, um dann irgendwann auf verdächtige Daten zugreifen zu können. Die Justizministerin und die FDP wollen nur die Daten von schon irgendwie leicht verdächtigen Personen sichern lassen.

FDP-Chef Westerwelle hat, zuletzt auf dem Dreikönigstreffen in Stuttgart, zu erkennen gegeben, dass es sich bei der Speicherfrage um eine substantielle Koalitionsfrage handelt. Für Leutheusser-Schnarrenberger ist es auch eine Frage der persönlichen Glaubwürdigkeit.

In der Tat hat die Ministerin nun ein Glaubwürdigkeitsproblem. Ein sehr großes sogar. Und da darf man sich durchaus auch fragen, wie denn nun ihr Sinneswandel zustande gekommen ist. Natürlich kann man nur mutmaßen, weil die wirklichen Gründe vermutlich nie an die Öffentlichkeit geraten werden. Aber ich vermute, daß der Druck innerhalb der Regierung in den letzten Wochen so groß geworden ist, daß sie sich dazu genötigt gefühlt hat, einen in ihren Augen möglichst "grundrechtsschonenden" Vorschlag zu machen. Doch warum? Zu befürchten ist, daß eventuell ihre Ablösung als Justizministerin durch die Kanzlerin bevorstehen würde, wenn sie weiterhin ihre harte Linie gegen die VDS fortführen würde.

Ich halte das Szenario durchaus für realistisch. Allerdings dürfen die Grundrechte nicht zu einer Verhandlunsmasse sicherheitsfanatische Politiker werden, die nur allzu gern einen internationalen Kampf gegen den Terrorismus beschwören. Sogar unser ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble attestiert, daß es keine 100%-ige Sicherheit geben kann, wie die CDU selber kundtut

„Freiheit und Sicherheit müssen kein Widerspruch sein, sondern Sicherheit ist eine Voraussetzung für Freiheit", war eine der Kernbotschaften des Innenexperten. 100%-ige Sicherheit gebe es allerdings nicht, räumte der Minister ein. Trotzdem sei Deutschland eines der sichersten Länder. Eben das sei auch der Grund, weshalb die innere Sicherheit kein Spitzenthema im Wahlkampf sei: „Dinge, die wir haben, sind uns nicht ganz so wertvoll wie die, die wir nicht haben."

Schäuble hat gleich mehrfach Recht in seiner Aussage: 

  1. Freiheit und Sicherheit stehen nicht unbedingt in Widerspruch. Aber nicht die Sicherheit garantiert die Freiheit, sondern die Freiheit die Sicherheit. Wer nicht frei ist, wird Mittel und Wege suchen, sich der Unfreiheit zu entledigen. Auch zur Not mit Gewalt.
  2. 100%-ige Sicherheit gibt es nicht. Trotzdem versuchte auch Schäuble immer wieder mit dem Argument der Sicherheit die Grundrechte – und damit die Freiheit – einzuschränken. In Deutschland ist die Gefahr eines Terroranschlags aber sehr gering. Eine Webseite führt den Anschlag auf die Disco LaBelle im Jahr 1986 als letzten Anschlag auf, der drei Menschen tötete und viele Verletzte zur Folge hatte. Dennoch wird die Mär mit der Terrorgefahr immer wieder und wieder über Gebühr strapaziert, um immer neue Sicherheitsgesetze durchzupeitschen.
  3. Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt. Zumindest was die Gefahr von Terroranschlägen betrifft. Wer allerdings am Straßenverkehr in irgendeiner Form teilnimmt, setzt sich eines ungleich größeren Risikos aus, ums Leben zu kommen, als durch einen Terroranschlag.
  4. Dinge, die wir nicht haben, wertschätzen wir mehr als die, die wir haben. Doch wenn wir erst anfangen, die Freiheit wertzuschätzen, wenn wir sie nicht mehr haben, ist es zu spät. Sicherheit hingegen, so sagt Schäuble ja selber, haben wir bereits, da Deutschland eines der sichersten Länder sei. Na gut, es ist auch eines der freiesten Länder. Und beides soll so bleiben. Nur: Sicherheit gewinnt man nicht, indem man seine Freiheit ausgibt. Das wußte auch schon Benjamin Franklin.

Wer immerzu eine Bedrohung herbeiredet, schürt damit Angst. Wer Angst schürt, hat nichts Gutes im Sinn. Vor Weihnachten wurde viel Trara um eine "akute Terrorwarnung" gemacht. Doch auf keinem Weihnachtsmarkt geschah ein Anschlag. Nirgendwo wurde die vorweihnachtliche Stimmung durch den lauten Knall einer Bombe zäh zerrissen und zunichte gemacht. Lediglich schwerbewaffenete Polizisten mit Maschinenpistolen suggerierten ein dumpfes Gefühl der Unsicherheit. Passiert ist nicht wegen dieser Polizisten nichts, sondern trotz diesen nichts!

Stattdessen leben wir inzwischen in einem Staat, der seine Bürger weitestgehend überwachen will. Einem Staat, der die Protokollierung aller Internetverbindungen, Telefonate und Kurznachrichten als Sicherheitsgewinn für die Bürger verkaufen will! Noch gilt die alte Volksweise

 

Die Gedanken sind frei
Wer kann sie erraten?
Sie rauschen vorbei
Wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
Kein Jäger sie schießen.
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei!

 

Doch wie lange noch? Wann wird der Hunger dieser Sicherheitsgläubigen Politiker gestillt sein? Erst dann, wenn auch die Gedanken nicht mehr frei sind? Viel fehlt nicht mehr, wie ein niedersächsischer Schüler feststellen musste. Wir brauchen quasi eine Renaissance der Aufklärung im Sinne Kants:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude [wage es verständig zu sein]! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?: Berlinische Monatsschrift, 1784,2, S. 481–494

Kant hätte es heute auch nicht zutreffender formulieren können, aber er tat es schon 1784. Wenn wir uns jetzt nun nicht dagegen wehren, daß uns unsere Grundrechte eingeschränkt und die Freiheit genommen wird, dann sind über 200 Jahre Aufklärung zunichte gemacht. Denn dann sind wir wieder inmitten einer selbstverschuldeten Unmündigkeit, weil wir unsere Politiker nicht rechtzeitig gestoppt haben!

Und deshalb, sehr geehrte Frau Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger, ist auch die kleinste Vorratsdatenspeicherung immer noch eine Vorratsdatenspeicherung und sei sie noch so kurz! Und deshalb ist ihr Eckpunkepapier in allen Belangen rundherum abzulehnen!

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2 thoughts on “Die FDP und die Vorratsdatenspeicherung

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  2. Und deshalb, sehr geehrte
    Und deshalb, sehr geehrte Frau Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger, ist auch die kleinste Vorratsdatenspeicherung immer noch eine Vorratsdatenspeicherung und sei sie noch so kurz! Und deshalb ist ihr Eckpunkepapier in allen Belangen rundherum abzulehnen!

    Dem und den Argumenten im Artikel kann ich nur zustimmen.
    Weiteres interessantes zu Thema Terror-Politik ist hier zu finden

    http://schrotie.de/index.php/2010/12/terror-politik/

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