Nachdem gestern die Polizei mit recht groben Mitteln den Protest gegen das Bauprojekt Stuttgart21 und der damit verbundenen Fällung von Bäumen im Schloßpark am Bahnhof geradezu niedergeknüppelt wurde, folgten heute in der Presse und der Politik.
Einen, wie ich finde, sehr guten Kommentar hat Jens Berger auf Spiegelfechter geschrieben:
Was soll man einem Kind über Demokratie und den Rechtsstaat erzählen, das bei einer angemeldeten Schülerdemonstration von grotesk martialisch uniformierten Polizisten mit Tränengas, Schlagstöcken und Wasserwerfern malträtiert wird? Welchen Wert hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip überhaupt, wenn es von einer zu allem entschlossenen Politikerkaste nach eigenem Gutdünken verbogen wird? Worin unterscheidet sich eigentlich die Stuttgarter Landesregierung, die Kinder von „Robocops“ zusammenschlagen lässt, von einem Herrn Putin, der seine OMON-Truppen auf Demonstranten hetzt? Mit der gestrigen Eskalation der Staatsgewalt im Stuttgarter Schlosspark hat der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus ein unrühmliches Stück deutscher Nachkriegsgeschichte geschrieben – mit dem Blut von Kindern und Greisen, die Demokratie leben wollten.
Auch wenn der Auftakt des Artikels etwas reißerisch klingt, so entbehrt er aber nicht einer gewissen Grundlage. Wieso schickt der Innenminister Wasserwerfer und mit eigentlich verbotenen Quarzsandhandschuhen bewaffnete Polizisten zu einer seit Wochen angemeldeten Demonstration von Schülern? Selbst die Tatsache, daß die Schüler auf das Dach eines LKWs, der Absperrgitter transportierte, rechtfertigt nicht den Einsatz von Reizgas und Pfeffersprays. Jens Berger schließt seinen Artikel mit:
Stuttgart 21 ist mehr als ein Fanal, es ist die Bankrotterklärung der repräsentativen Demokratie. Dort, wo der Wille des Volkes durch die Macht der Waffen unterdrückt wird, ist kein Hort der Demokratie, sondern ein Abgrund der Repression. Wenn es die repräsentative Demokratie nicht schafft, das Vertrauen des Volkes zurückzugewinnen, droht dem Land eine neue Ära des bürgerlichen Widerstands. Es gab immer Demonstrationen von Minderheiten, die mit Gewalt niedergeschlagen wurden. In Stuttgart ist es allerdings das Bürgertum, die Mittelschicht, die sich gegen einen bornierten Staat stellt, der offenbar bis zum Äußersten geht, um seinen Willen durchzusetzen. Alle Staatsmacht geht vom Volke aus? Welche Bedeutung hat dieser Satz am heutigen Tag? Die politischen Eliten sollten in sich gehen und einmal darüber nachdenken. Noch haben sie Zeit, die Demokratie zu retten, indem sie dafür sorgen, dass die Demokratie wieder mehr ist als ein hohles Wort. Doch die Zeit läuft ab, und wer meint, die Entwicklungen aussitzen zu können, wird früher oder später vom Volk hinweggefegt. Man sollte die Geschichte nicht durch einen Mangel an Phantasie beleidigen.
Was Jens da anspricht, ist ein wichtiger Punkt, wie ich finde: den Menschen geht es nicht nur um den Bahnhof, sondern auch darum, daß dort ein Projekt mit aller Macht durchgezogen werden soll, das die Bürger nicht wollen. Eben weil es aus dem Ruder gelaufen ist und die Politiker nicht mit offenen Karten gespielt haben. Als klitzekleines Beispiel, daß nicht alles mit rechten Dingen zugeht, kann hierbei sogar die gestrigen Baumfällaktion gelten: offenbar hat das Bahnbundesamt *vor* dem Fällen der Bäumen eben dies unter Hinweis auf naturschutzrechtliche Bestimmungen untersagt, wie dieses Foto eines offiziell aussehenden Briefes aussagt. Sollte dieses Schreiben echt sein, hätte die Polizei sich vermutlich der Beihilfe zu einem Rechtsbruch schuldig gemacht, insbesondere weil das Schreiben den Verantwortlichen vorher bekannt gewesen sein soll.
Daß die Bürger gegen ein solches Projekt protestieren, ist doch nur allzu verständlich. Ebenso verständlich ist es, daß die Bürger nicht einfach der Polizei Folge leisten und den Park räumten. Dies wurde von Seiten der S21 Befürworter häufig geäußert, daß die Demonstranten selber schuld seien, denn schließlich habe die Polizei sie mehrfach aufgefordert, das Gelände zu räumen. Würden sie jedoch der Aufforderung nachkommen, könnten sie das Protestieren gleich ganz sein lassen. Man stelle sich das einmal vor: zehntausende von Demonstranten versuchen das Fällen von 200 Jahre alten Bäumen zu verhindern. Dann kommt die Polizei und sagt "Hey, hier muss gebaut werden. Bitte verlassen Sie jetzt den Platz!" – und alle Demonstranten gehen dann nach Hause. Das macht als Protest gar keinen Sinn. Diese Form nennt des Protestes nennt sich "ziviler Ungehorsam" und hat viele berühmte Vorbilder wie Martin Luther King Jr. und den äußerst ehrenwerten Mahatma Gandhi.
Natürlich sollte man auch als Demonstrant nicht gegen das Gesetz verstoßen, aber was ist, wenn diejenigen, die über das Recht wachen bzw. es durchsetzen müssen, selber dagegen verstoßen oder es beugen? Was bleibt dem Bürger dann noch, um Unrecht zu verhindern? Was?
Heute ist der erste Tag nach dem Fehltritt der Exekutive bei den Protesten gegen Stuttgart21. Und es scheint wieder ein Abend mit einer riesigen Demonstration zu sein. Alvar Freude berichtete auf Twitter:
Wahnsinn: mind. 100000 Demonstranten fordern Mappus Rücktritt #S21 http://twitpic.com/2tpka5 http://twitpic.com/2tpk9o
Wenn das auch nur annährend wahr sein sollte, sollte Ministerpräsident Mappus und alle anderen Politiker erneut das Bauvorhaben überdenken! Weiter so! Aber friedlich.
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