Lange Zeit habe ich neidisch auf Berlin, Brüssel und andere Städte geblickt, wo es offenbar eine lebendige und lebhafte netzpolitische Szene gibt, die sich dort trifft, organisiert, diskutiert, austauscht und ganz einfach netzpolitische Themen nach vorne bringt, indem die Szene ganz einfach existiert.
Rostock hingegen ist ja eher Provinz. Zwar schön an der Ostsee gelegen und sicherlich auch das Oberzentrum in MV schlechthin, aber von der politischen Bedeutung her sicherlich eher am Rande der bundespolitischen Bedeutungslosigkeit. Zumindest was Netzpolitik anbelangt.
Am 1. August 2011 habe ich, aus einer spontanen Eingebung heraus, einfach mal auf Twitter ein paar Leute gefragt, was sie denn von einem netzpolitischen Bier in Rostock halten würden:
Netzpolitisches Bier Rostock? http://www.doodle.com/ucny6w2yaidzaqgf
@stilouhette@DirkRuediger@ChristanBahls@Quddel@trulco@terpeundteam@the_anke@slith76
Das war praktisch die Geburtsstunde vom netzpolitischen Bier Rostock oder kurz im gebräuchlichen Twitter-Jargon #npbhro genannt.
Der Zuspruch war unerwartet positiv und auch das erste #npbhro am 9. August lief gut an. Immerhin fünf Personen waren letztendlich gekommen, davon ein Bundestagsabgeordneter und ein Kreisvorsitzender einer Partei. Und auch beim zweiten #npbhro war das Interesse groß: bereits 7 Teilnehmer, davon 5 Politiker verschiedener Parteien, die sehr engagiert und lebhaft über netzpolitische Themen diskutierten. So kann es ruhig weitergehen!
Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, daß es in Rostock mit dem #npbhro irgendwie anders läuft als bei anderen netzpolitischen Bieren wie etwa Berlin. Von dem, was ich auf Twitter so mitbekommen habe, schien die Sache in Berlin eher spontan via Twitter organisiert zu sein, während wir in Rostock uns jeden zweiten Dienstag im Monat um 18 Uhr treffen, also einen festen Terminzyklus haben. Also fragte ich einfach mal per Mail bei jemanden nach und erfuhr daraufhin, daß mich mein Gefühl nicht getäuscht hatte: dort lief es zum Beispiel tatsächlich anders ab als in Rostock und es trafen sich die üblichen Verdächtigen, die sich sowieso schon für Netzpolitik in anderen Organisationen engagierten. Politiker kamen eher zufällig mal vorbei, während wir uns in Rostock explizit darum bemühen, Politiker wenn möglich aller Parteien mit Netzaktivisten an einen Tisch zu bekommen.
Das wird natürlich auch in Rostock nicht immer gelingen. Bei den vergangenen #npbhro waren die Umstände günstig: zum einen standen die Landtagswahlen vor der Tür, zum anderen gab es wohl weitestgehend sitzungsfreie Wochen in der Sommerzeit. Aber es kristiallisierte sich durchaus heraus, daß es unterschiedliche Ansätze von netzpolitischen Bieren gibt:
- Treffen von interessierten Netzaktivisten untereinander
- Treffen von Politikern mit Netzaktivisten
Das sollnicht heißen, daß es sich nicht auch durchmischen kann, aber wir verfolgen in Rostock den zweiten Ansatz und versuchen eben, beide Lager miteinander ins Gespräch zu bringen. Zum einen, damit Politiker die Meinungen der Netzaktivisten kennenlernen, zum anderen aber auch, damit die Netzaktivisten auch von den Politikern lernen können, wie Politik gemacht wird und daß es eben meistens nicht so einfach ist, wie wir Netzaktivisten uns das landläufig vielleicht so vorstellen.
Aber letztendlich ist es auch egal, wie man ein netzpolitisches Bier organisiert! Jedes netzpolitisches Bier, egal wo, egal wie, trägt dazu bei, netzpolitische Themen gesellschaftsfähiger zu machen und aus dem Internet ins reale Leben hinein zu tragen. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich berichten, daß es in der Regel gar nicht so schwierig ist, Politiker anzusprechen und auch eine Reaktion von ihnen zu bekommen. Nicht von jedem Politiker und nicht von jeder Partei, aber grundsätzlich gibt es in jeder Partei Politiker, die für Gespräche mit Bürgern offen sind und sich freuen, wenn sie auch einmal direkten Feedback von ihren Wählern bekommen. Dabei ist es natürlich schwieriger, einen Politiker aus der ersten Reihe zu bekommen, ganz einfach weil dieser entsprechend viele Termine haben wird, die er wahrnehmen muss.
Traut euch einfach! Ladet Politiker zu einem netzpolitischen Bier ein! Stellt einfach in eurer Einladung auch heraus, daß beide Seiten etwas von einander lernen können: die Politiker lernen im Zweifel wie das mit dem Internet so funktioniert und die Bürger erfahren, daß Politik doch nicht so einfach ist, wie man es sich vielleicht vorstellt. Tragt dazu bei, daß nicht nur die bezahlten Lobbyisten der Wirtschaft ihre Vision vom Internet den Politikern nahebringen, sondern daß sie auch die andere Seite kennenlernen!
Und wenn Du wissen willst, ob es schon ein netzpolitisches Bier in deiner Stadt gibt, dann schau einfach mal auf http://netzpolitisches-bier.de/ vorbei. Oder fehlt euer #npb dort? Dann einfach kurz Bescheid sagen!
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[…] Jürgensmann, der das in Rostock organisiert, hat jetzt mal gebloggt, dass es dort etwas anders aufgezogen wird als in Berlin oder Brüssel (wo ich er aus eigener […]
npbx: Plattform zum Erfahrungsaustausch
Danke für den tollen Beitrag!
In der Tat haben wir in Berlin, abseits aller Podiumsdiskussionen und Lobbyveranstaltungen, bei denen man sowieso schon ständig Politiker trifft, die Netzpolitikbiere als stärker persönlich geprägte Treffen, die auch für private Gespräche geeignet sind und Vernetzung und Ideenaustausch auf sehr niedriger Einstiegsschwelle ermöglichen. Auch Veranstalter im eigentlichen Sinne gibt es nicht.
Wir haben uns gefreut, dass das Konzept auch in anderen Städten auf Interesse stößt und haben daraufhin eine kleine Plattform zur Verbreitung ins Leben gerufen, auf der Leute Tipps bekommen können, die selbst ein Netzpolitikbier in ihrer Stadt haben möchten. Da kann einfach jeder auch die eigenen Termine ankündigen und nach Gleichgesinnten fragen. Unter http://npbx.wordpress.com/npbx-how-to/ gibt’s auch ein kleines How To als Anregung.
Magst du vielleicht deinen Beitrag dort crossposten?
Ja, irgendwie lustig: ich hab
Ja, irgendwie lustig: ich hab das #npbhro hier so aufgezogen wie ich dachte, dass es in Berlin in etwa ablaufen koennte, und dann hinterher festgestellt, dass alle anderen es irgendwie anders machen. Und trotzdem oder gerade deswegen hat das Konzept hier in Rostock bisher erstaunlich gut funktioniert. Allerdings muss man schon die Politiker auch regelmaessig ansprechen und staendig nachhaken. Das braucht vermutlich so seine Zeit, bis das #npbhro soweit etabliert ist, dass es ein Selbstlaeufer wird.
Als Veranstalter will ich mich auch eigentlich nicht sehen, vielleicht eher als Organisator, in dem Sinne, dass ich mich um die Reservierung des Tisches kuemmere und die Termine ankuendige. Auch hier hoffe ich, dass mit der Zeit auch andere Teilnehmer vielleicht das eine oder andere uebernehmen moechten.
Crossposten ist eine prima Idee! Aber wie? Als Kommentar oder als Autor nach Registrierung?
Wenn du mir einfach die
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