Bündnis oder Verband?

Wie bereits im letzten Beitrag geschrieben, fand am 31. August in Berlin das 3. Forum gegen Überwachung von #wastun statt. #wastun hatte sich als Gruppe, Organisation, Bündnis oder was auch immer gegründet, um allen Leuten eine Möglichkeit zu geben, etwas gegen Überwachung zu tun. Es gibt nämlich offensichtlich noch kein solches Bündnis, müsst ihr wissen. Ich hatte schon frühzeitig meine Bedenken gegenüber einer damals involvierten Person geäußert, daß ich kein Fan von dieser Zersplitterung sei und man doch lieber bei bestehenden Gruppierungen mitarbeiten solle. Nichtsdestrotrotz finde ich jegliches Engagement gegen die ausuferende Überwachung toll finde. Nur ist das Problem: je kleiner die Gruppen werden, desto unbedeutender wird diese Gruppe in der Wahrnehmung der politischen Akteure.

Zudem baut jede Gruppierung parallele Strukturen auf: jede Gruppierung möchte eine Webseite haben, um sich darstellen zu können und um Informationen weiter zu verbreiten. Jede Gruppierung nutzt auch irgendeine Art von Mailing Liste, um sich abzusprechen. Jede Gruppierung buhlt um die Gunst von Spendern und Menschen, die bei ihnen mitarbeiten wollen. Und jede Gruppierung wendet enorm viele Ressourcen und Energie auf, diese parallelen Strukturen zu schaffen und am Leben zu erhalten. Energie, die in der thematischen Arbeit dann fehlt, weil jeder Mensch nur eine begrenzte Menge an Energie und Arbeitskraft hat, die er oder sie einbringen kann. Das ganze wird zudem noch dadurch verschärft, daß die meisten Menschen in solchen Gruppierungen das nicht hauptamtlichen machen und dafür bezahlt werden, sondern das nach ihrem eigentlichen Arbeitsalltag ehrenamtlich in ihrer knappen Freizeit machen.

Wenn ich mir also die vergangenen Jahre mal so in der Revue betrachte, dann gab es da eine sehr starke Bewegung, die auch deswegen stark war, weil sich viele im Arbeitskreis Vorratsdatenbewegung engagiert haben und auch ansonsten alle zusammen am gleichen Strang gezogen haben. Doch schon damals begann die Zersplitterung, zum Beispiel in Form der Piratenpartei, die den bürgerlichen Protest in die Politik und in die Parlamente bringen wollte. Das hat auch anfangs recht gut funktioniert, weil die Piratenpartei entsprechenden Zulauf und dementsprechend hohe Umfragewerte hatte, die den “etablierten” Parteien einen gehörigen Schrecken eingejagt haben. 2008 sollen laut Wikipedia bei der “Freiheit statt Angst” durch die Mobilisierung von 117 Organisationen ca. 100.000 Menschen teilgenommen haben. 2009 bestand das Bündnis aus 167 Organisation und die Demo zählte gut 25.000 Menschen. Zum Vergleich: 2012 fand gleich gar keine Demo mehr statt und 2014 schafften es 81 Organisationen immerhin noch 6500 Menschen zur Teilnahme zu bewegen.

Schaut man sich die Bündnisliste von 2008 (rechts an der Seite) und von diesem Jahr an, habe zumindest ich den Eindruck, daß das Bündnis damals gesellschaftlich breiter aufgestellt war und das Bündnis dieses Jahr mehr kleine, lockere Gruppierungen enthält. Etwa Cryptoparty oder #stopwatchingus Gruppierungen. Diese sind natürlich auch wichtig, weil sie häufig wichtige Arbeit vor Ort leisten, aber es ist schon ein Unterschied in der Mobilisierungsfähigkeit, ob eine kleine lose Gruppierung zu einer Demo aufruft oder ein Berufsverband, eine Gewerkschaft oder verschiedenste Bundesverbände. Sicherlich spielt aber auch eine Rolle, daß das Thema “Protest aus dem Internet” sich etwas abgenutzt hat und die Menschen nicht mehr so stark mobilisiert wie damals noch, einfach auch deshalb, weil es inzwischen so viel ist und die Leute sich vielleicht auch angesichts der globalen Überwachung ohnmächtig fühlen.

Wir halten also fest: wenn auch früher nicht alles besser war, es war zumindest anders. Organisationen, die noch 2008 zur Demo aufgerufen haben, sind 2014 nicht mehr dabei. Dafür sind andere hinzugekommen, die aber ihrerseits lokale Bündnisse sind, wie etwa #stopwatchingus. Insgesamt erscheint mir die Bündnisliste dieses Jahr stärker themenbezogener zu sein als damals. Also mehr Organisationen, die sowieso schon in diesem Bereich tätig sind, aber weniger Organisationen, die man eigentlich anderen Themenfelder zuordnen würde. Statt einem breiten Bündnis durch die Gesellschaft, hat sich das Bündnis immer stärker auf die Kerngruppen konzentiert – und innerhalb dieser Kerngruppe fand eine Zersplitterung in verschiedene, kleinere Organisationen statt.

Insofern verwundert es auch nicht, daß die Teilnehmerzahlen rückläufig sind, da die Mobilisierung quasi in ihrer eigenen Filterbubble verläuft und die Bewegung, wenn man sie als solche verstehen will, es nicht schafft, in die Breite der Gesellschaft zu gehen.

Nachdem man sich also die Vergangenheit und die derzeitige Situation angeschaut hat, wäre es nun eigentlich sinnvoll, daraus Schlußfolgerung und Konsequenzen zu ziehen. Wenn wir akzeptieren, daß ehrenamtliche Arbeit nur beschränkt möglich ist und wir unsere Aktivistinnen und Aktivisten nicht verbrennen wollen, dann ist es eigentlich kontraproduktiv, in immer kleinere Einheiten zu zersplittern und parallele Strukturen aufzubauen. Auf der anderen Seite ist es durchaus vorteilhaft, Interessenten eine örtlich nahgelegene Gruppierung zur Mitarbeit anzubieten, um niedrigschwellige Mitarbeit anbieten zu können. Das spricht eher für viele, kleinere Gruppierungen, da sich viele Interessenten womöglich nicht so recht in großen Organisationen oder Vereinen einbringen möchten.

Wie also kann man diesen Spagat meistern?

Auf dem 3. Forum für Überwachung wurde nun also beschlossen, ein Bündnis ins Leben zu rufen. Das Bündnis soll wohl vor allem Einzelpersonen ansprechen, aber auch für Organisationen offen sein. Es soll Aktionen planen und durchführen und Informationen sammeln und verbreiten. Also eigentlich auch das, was #wastun eigentlich selber sein wollte, nur wieder mit einem anderen Namen und einem größeren Anspruch, obwohl das Forum ja eigentlich ein Bündnis schmieden wollte, um Doppelungen zu vermeiden. Welche Absurdidäten das ergibt, zeigt vielleicht ein Beitrag auf einer #wastun Mailing Liste von heute morgen: 

Zitat von Ingo Jürgensmann <ij@xxxxxxx.org>:

Am 04.09.2014 um 07:58 schrieb Mxxxx Lxxx <mxxxx@xxxxxxxxx.de>:

> > Wir könnten auf der Website Empfehlungen geben, was die Leute tun können: andere Messenger, anderer Browser, Cryptopartys besuchen etc.

> https://digitalcourage.de/support/digitale-selbstverteidigung

Jep, ist nett. Bräuchten wir nur an einer Stelle, wo es alle Menschen finden. Womit wir wieder bei gemeinsamen Strukturen wären, aber die Büchse mach ich jetzt nicht auf.

Grüße
Mxxxx

Sprich: eigentlich wollte man ja doppelte Arbeit vermeiden, aber die eigentlich schon gut bei Suchmaschinen zu findende Seite von digitalcourage mit den entsprechenden Informationen ist angeblich nicht gut zu finden und die Information soll auf eine Webseite, wo die Information “alle Menschen finden” können. Auch wenn das zukünftige Bündnis Bestand haben sollte und eine zentrale Infrastruktur zur Verfügung stellen würde, so würden weiterhin Information überall im Netz verstreut sein. Es ist illusiorisch, *die* eine Anlaufstelle anbieten zu wollen. Keine Organisation oder Gruppierung wird wohl die Informationen auf der eigenen Webseite, die man selber mühselig aufgebaut hat, zu Gunsten eines übergeordneten Bündnisses aus dem Netz nehmen.

Das gleiche gilt übrigens auch für den Anspruch des neuen Bündnisses, ein niedrigschwelliges Angebot zur Mitarbeit für Interessenten anbieten zu wollen. Welche Organisation würde da wohl zugunsten des neuen Bündnisses bei Anfragen von Interessenten, diese auf die Möglichkeit der Mitarbeit im Bündnis verweisen? Natürlich wird jede Organisation selber versuchen, Interessenten zur Mitarbeit bei sich selber zu begeistern.

Was für die Mitarbeit gilt, gilt natürlich um so mehr auch für die begehrten Spendengelder, denn ohne Moos ist nichts los – auch nicht bei ehrenamtlicher Datenschutz- oder Grundrechtsarbeit. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Bündnis Bestand haben kann, wenn es mit anderen Organisationen im gleichen Tätigkeitsumfeld um Mitglieder und Spendengelder konkurrieren muss.

Geht man hingegen einen anderen Weg, kann man diese Probleme umgehen. MIt einer Art Dachverband könnte man die verschiedenen Organisationen hinter einer gemeinsamen Organisation vereinigen, ohne deren Selbständigkeit zu beschränken und ohne in einen Konkurrenzkampf um die wichtigsten Ressourcen (Mitmachende und Spendengelder) zu treten. Dennoch könnte der Dachverband die Arbeiten und Aktionen der einzelnen Organisationen koordinieren und seinerseits Ressourcen wie IT-Technik, Vollzeitstellen und gemeinsames Informationsmaterial zur Verfügung stellen. Der Schlüssel hierzu liegt in den Mitgliedsbeiträgen der Einzelorganisationen. Ähnlich den Mitgliedsbeiträgen bei Gewerkschaften müssten Mitglieder des Dachverbands, je nach Leistungsfähigkeit, einen geringen Betrag dem Verband verbindlich zusagen, damit dieser seine Arbeit erledigen kann, von dem dann alle profitieren können.

Oder um es nochmal anschaulicher zu machen: 

  Pro Contra
Bündnis
  • einfach zu machen, geringer Aufwand
  • offen für Einzelpersonen und Organisationen
  • flache Hierarchien
  • schon wieder ein weiteres Bündnis, wie es schon viele gibt
  • konkurriert mit Organisationen und anderen Bündnissen um Mitglieder und Spendengelder
Dachverband
  • keine Konkurrenz um Mitglieder und Spendengelder
  • stabile Finanzierung durch Mitgliedsbeiträge der Organisationen
  • stärkt die Arbeit der Mitgliedsorganisationen
  • klar definierte Hierarchien und Verantwortlichkeiten
  • größerer Aufwand der Gründung
  • keine direkte Mitarbeit/Mitgliedschaft von Einzelpersonen

Im Grunde geht es um die Frage: “Machen wir weiter so wie bisher oder können wir etwas ändern, um erfolgreicher zu sein?” Sicherlich haben wir in der Vergangenheit viel mit der Art und Weise erreicht, wie wir in der Vergangenheit gearbeitet haben. Aber sind wir wirklich so erfolgreich, wie wir uns gerne selber darstellen? Ich hab da so meine Zweifel. Und auch Sascha Lobo brachte einiges an berechtigter Kritik auf der re:publica dieses Jahr vor: 

Ich finde, wir müssen etwas in unser Arbeit grundlegend ändern. Und das geht nicht, indem wir so weiter machen wie bisher. Wir sollten uns professionalisieren. Das bedeutet, daß wir zuschauen sollten, daß wir mehr hauptamtliche Leute haben, die sich mit Vollzeitstellen um zum einen grundlegende Arbeiten kümmern, etwa Gesetzesvorlagen auseinander zu nehmen oder Aktionen vorzubereiten. Anderseits kostet all dies Geld und wir müssen einen Weg finden, diese Vorhaben finanzieren zu können.

Häufig wird in diesem Zusammenhang ein Greenpeace für Datenschutz oder Grundrechte gefordert, aber wenn es darum geht, eine solche Organisation auf die Beine zu stellen, verfallen wir in Schockstarre und trauen uns nicht, einfach mal etwas Neues zu versuchen, sondern bleiben lieber bei Althergebrachtem, von dem wir eigentlich wissen, daß es uns im Wesentlichen nicht weiter voran bringt. Ich sage nicht, daß es einfach werden wird, einen Dachverband zu gründen, aber noch ein “Bündnis gegen Überwachung” brauchen wir auch nicht.

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