Bürgerrechtsorganisationen fordern Auflösung des Verfassungsschutzes

Ein Bündnis von Bürgerrechtsorganisationen fordern die Auflösung des Verfassungsschutzes. Zu diesem Bündnis gehören die Humanistische Union vereinigt mit der Gustav Heinemann-Initiative (HU), die Internationale Liga für Menschenrechte (ILMR) und der Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen (BAKJ), unterstützt vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AKV), Chaos Computer Club (CCC), digitalcourage e.V. (DC), Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie.

Aus der Einladung zum Pressegespräch in der Bundespressekonferenz: 

NSU- und NSA-Affäre haben gezeigt, wie wenig der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ (VS) seinen ihm zugewiesenen Aufgaben gerecht wird. Die VS-Behörden in Bund und Ländern haben trotz zahlreicher VLeute in und umfassender Informationen aus Neonazi-Szenen die NSU-Mordserie nicht verhindert, im Gegenteil: deren Aufklärung noch behindert. Sie haben diese gewaltgeneigten Szenen mit ihrem kriminellen VLeute-System durchsetzt und damit gestärkt, anstatt sie zu schwächen. Ebenso wurde die großflächige Überwachung des Kommunikationsverhaltens der Bevölkerung durch ausländische Geheimdienste nicht etwa vom VS, sondern von mutigen Whistleblowern und Medien aufgedeckt. Die „Verfassungsschützer“ unterstützten lieber ihre US-Kollegen, als ihren gesetzlichen Aufgabe zur Spionageabwehr und zum Schutz der Bürger_innen nachzukommen. Zwei schwere Skandale innerhalb von zwei Jahren lassen das letzte Vertrauen
in die Arbeit des „Verfassungsschutzes“ schwinden.

Was dabei leicht übersehen wird: Die Geschichte des VS ist von Anfang an eine Geschichte von Skandalen und Bürgerrechtsverletzungen. Rechtswidrige Überwachungen, gezielte Verleumdungen gegen politisch unliebsame Bürger_innen und der Missbrauch geheimdienstlicher Macht sind keine Einzelfälle, sondern haben System.

Das Bündnis fordert nichts weniger als die Abschaffung des Verfassungsschutzes und veröffentlich hierzu die folgenden Thesen:

THESEN

  1.  Eine demokratische Gesellschaft lebt von der Meinungsvielfalt. Radikale Auffassungen und Bestrebungen (die von den vorherrschenden Meinungsbildern abweichen) sind deshalb nicht nur zulässig, sondern auch wünschenswert – solange die Grenzen zur Strafbarkeit bzw. zu gewalttätigem Handeln nicht überschritten werden. Staatliche Behörden dürfen derartige Äußerungen weder als „verfassungsfeindliche“ oder „extremistische“ Bestrebungen abqualifizieren, beobachten oder gar verfolgen. Wir brauchen kein staatliches „Frühwarnsystem” zur Beobachtung derartiger Auffassungen und Bestrebungen.
  2. Geheimdienstlicher Verfassungsschutz ist schädlich, wie auch die zahlreichen Verfehlungen und Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik zeigen. Es handelt sich dabei nicht um zufällige, persönliche oder vermeidbare Fehler, sondern systematisch bedingte Mängel eines behördlichen und geheimdienstlichen „Verfassungsschutzes“.
  3. Die gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden sind überflüssig. Bei ihrem Wegfall entsteht keine Sicherheitslücke. Eine Aufgaben- und Befugnisüberleitung von den Verfassungsschutzbehörden auf die Polizei ist daher nicht erforderlich. Der Schutz vor Gewalt und Straftaten obliegt der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten.
  4. Eine Kontrolle geheim arbeitender Verfassungsschutzbehörden, die rechtsstaatlichen und demokratischen Ansprüchen genügt, ist nicht möglich. Auch Kontrollverbesserungen sind untauglich: ein transparenter, voll kontrollierbarer Geheimdienst ist ein Widerspruch in sich.
  5. Die Verfassungsschutzbehörden sind ersatzlos abzuschaffen – allein schon deshalb, um nicht in Zeiten knapper Kassen und in Beachtung der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse jährlich eine halbe Milliarde Euro für überflüssige, ja schädliche Behörden auszugeben. Es bedarf auch keiner ersatzweisen, mit offenen Quellen arbeitenden staatlichen Informations- und Dokumentationsstelle über extremistische Bestrebungen. Das Problem besteht nicht in einem mangelnden Wissen über radikale, bisweilen auch menschenverachtende Meinungen und Haltungen in unserer Gesellschaft.
    Die Auseinandersetzung darüber muss mit politischen, demokratischen Mitteln geführt werden; sie ist innerhalb der Gesellschaft zu führen.

Die Skandale um die NSU, V-Leute und auch die Enthüllungen von Edward Snowden über die globale Überwachung durch Geheimdienste zeigen, daß wir mehr Transparenz und weniger Geheimniskrämerei brauchen. Hierzu ist die Auflösung des Verfassungsschutzes ein wichtiger Schritt.

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