25 Jahre Bundesüberwachungsrepublik Deutschland

Der 11. September 2001 markiert einen Wendepunkt in der internationalen wie auch nationalen Politik des Datenschutzes. Das ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Seitdem werden der Datenschutz und die Grundrechte immer mehr im Namen der Sicherheit und des Kampfes gegen den Terrorismus eingeschränkt. In Wahrheit aber geht diese Erosion der Grundrechte schon sehr viel länger vonstatten.

Derzeit kann man auf Spiegel Online auch nachlesen, seit wann dies so ist. Denn schon in Ausgabe 7/1986 titelte der Spiegel: "Erfaßt, Überwacht, Kontrolliert"

Das "informationelle Selbstbestimmungsrecht" der Bürger, wie es das Verfassungsgericht formuliert hat, verkommt zum informationellen Selbstbedienungsrecht der Sicherheitsbehörden.

Der Bürger wird erfaßt, überwacht, kontrolliert, die Polizei ist allwissend – diese vielbemühte Horrorvision Orwellscher Prägung hat, kaum ist das ominöse Jahr 1984 vorüber, Realitätsbezug bekommen. Ein so nüchterner Mann wie der hessische Datenschützer Spiros Simitis sieht schwarz: "Zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik steht das Tor für die Geheimpolizei offen."

Spiros Simitis ist übrigens quasi die graue Eminenz in Sachen Datenschutz. Das zeigt sich auch an seiner Einschätzung in Bezug auf die Datensammelwut der Behörden, die 25 Jahre später umso mehr bestätigt wird desto mehr Sicherheitsgesetze verabschiedet werden.

Insgesamt ist der Artikel sehr lesenswert, da er Parallelen von damals und heute aufweist, wie etwa in diesem Beispiel: 

In ihren Datenbanken konserviert die Polizei aber nicht nur angestaubte Fälle, sondern sie setzt auch unbekümmert neue Tatbestände. So berichtet die baden-württembergische Datenschützerin Ruth Leuze von einem unbescholtenen 51jährigen Familienvater, der im Computer unversehens zum Sittenstrolch avancierte.

Der Mann hatte an einem Flußufer nackt baden wollen, als ihn Polizisten überraschten. Die "Nachforschungen der Polizei", so Ruth Leuze, ergaben "keine Anhaltspunkte dafür", daß der verhinderte Nacktbader an diesem Tag oder früher jemals "anderen Personen gegenüber unsittlich aufgetreten" wäre. Auch die Staatsanwaltschaft konnte nicht feststellen, daß er "Dritte durch exhibitionistische Handlungen belästigt" hätte. Gleichwohl weigerte sich die Polizei, die gespeicherten Daten zu löschen – der Computer wies den Mann weiterhin als Triebtäter aus.

Datenabruf per Knopfdruck, weiß Datenschützerin Leuze, verleitet die Beamten dazu, "prinzipiell zu bezweifeln, was der Bürger sagt, und ihm erst zu glauben, wenn der Computer nichts anderes meldet". Aufgrund solcher Erfahrungen "erledigt sich" nach Ansicht des Verfassungsrichters Hermann Heußner "die oft zu hörende These, der ”anständige Bürger” brauche keinen Datenschutz".

Die Speicherung von so vielen Daten, die irgendwo, irgendwie gespeichert werden, widerspricht im Grunde dem §3a BDSG zur Datenvermeidung und Datensparsamkeit. Wenn eine gespeicherte Information falsch ist, dann muss sie eben korrigiert werden. Im Fall von polizeilichen Datensammelungen muss "korrigiert" dann eben auch "gelöscht" bedeuten. Und dann nicht nur in einer Datenbank, sondern in allen. Doch das wird schwierig, ja schlechterdings unmöglich, weil die Daten aller Wahrscheinlichkeit nach längst abgeflossen sind, teilweise sogar ins Ausland.

Aber auch andere Behauptungen der Sicherheitspolitiker von heute, wie etwa beim Thema Bundestrojaner, haben eine damalige Entsprechung: 

Der Hamburger Verfassungsschutz-Chef Christian Lochte (CDU), ein engagierter Gegner des Automaten-Ausweises, erinnert daran, wie in den siebziger Jahren die Terroristen-Dateien aufgebläht wurden. Anfangs, so Lochte, waren da "200 bis 300 Leute drin", aber dann hat sich das Reservoir "in einer relativ kurzen Zeit von zwei, drei Jahren um das Zehnfache vergrößert".

Das gleiche passierte bei der Datei der vermuteten Kontaktpersonen: "Zunächst waren nur wenige hundert eingegeben", doch die "haben sich wie die Karnickel vermehrt" – bald befanden sich in der Sammlung 11000 Personen. Lochte: "Wir hatten natürlich niemals – jeder weiß das ja – 3000 Terroristen in der Bundesrepublik", tatsächlich sei "noch nicht einmal ein Zehntel wirklich relevant" gewesen.

Wenn die Datenpools derart "verschmutzt" sind, wie die Fachleute sagen dann können falsche oder unvollständige Auskünfte, per Ausweis abgerufen, schlimme Folgen haben. Lochte sieht "eine Fülle von Fehlgriffen des Staates" voraus, zumal dann, wenn der kontrollierende Beamte "hysterisch reagiert".

Beim Bundestrojaner hieß es auch, daß der nur in ganz, ganz wenigen Fällen eingesetzt werden sollte. Und hätte das BVerfG nicht einen so starken Riegel vor die Nutzung geschoben, dann wäre die Nutzung sicherlich ausgeufert. Angeblich soll aber der Bundestrojaner bisher noch kein einziges Mal eingesetzt worden sein – aber auch nur weil das BVerfG entsprechend hohe Schranken aufgestelt hat. Ein anderes Beispiel sind die NoFly-Listen, wo sich so mancher Reisender schon gewundert hat, wie er auf die Liste kam.

Allein das 1972 in Betrieb genommene Inpol-System, an das gegenwärtig rund 2600 Terminals angeschlossen sind, beantwortet jeden Monat anderthalb Millionen Anfragen, zwanzigmal soviel wie vorher durch Brief, Fernschreiber oder Telephon angefragt wurde – mit dem technischen Fortschritt wächst auch die Datengier.

Diese Datengier läßt sich auch bei den Kontodatenabfragen beobachten.

Wie gesagt: der Artikel ist äußerst lesenswert, insbesondere im Vergleich mit den heutigen Verhältnissen. Und man sieht, wie sehr das Datenschutzbewußtsein bei den Bürgern nachgelassen hat. Dies wieder zu kräftigen und aufzubauen, sollte eigentlich Aufgabe der Opposition in Politik und Gesellschaft sein. Ebenso das Verhindern neuer Sicherheitsgesetze.

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