Interessantes aus dem Netz

Auf Twitter zwitscherten es heute die Vögel aus dem Twitter-Wald: es ist ein Entwurf der Rundfunkkommission des Staatsvertrags zwischen den Bundesländern aufgetaucht, der allerlei Unsinn und Unkenntnis offenbart. Der AK Zensur hat diesen Entwurf kommentiert und eine Stellungnahme (PDF) dazu veröffentlicht:

Der aktuelle Entwurf zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) enthält eine ganze Reihe abzulehnender Vorschriften:

  • Es werden sowohl Internet-Zugangs-Anbieter (Access-Provider, ISP) als auch Anbieter von Webspace (Hosting-Provider) mit den eigentlichen Inhalte-Anbietern gleich gesetzt. Sie werden als „Anbieter“ bezeichnet. Sie alle sind für die Inhalte ihrer Kunden verantwortlich.
  • Access-Provider werden verpflichtet, ausländische Webseiten zu blockieren, die sich nicht an die in Deutschland geltenden Jugendschutzbestimmungen halten. Es muss also eine weitaus umfangreichere Internet-Zensur-Infrastruktur aufgebaut werden, als dies Ursula von der Leyen im Wahlkampf vorgesehen hat.
  • Wenn auf einer Webseite die Nutzer Inhalte erstellen können (also zum Beispiel Kommentare in Blogs), dann muss der Betreiber der Plattform (also zum Beispiel der Blogger) nachweisen (!), dass er zeitnah Inhalte entfernt, „die geeignet sind, die Entwicklung von jüngeren Personen zu beeinträchtigen“. Ausnahmen sind keine vorgesehen.
  • Generell werden alle Inhalte in Kategorien eingeteilt: ab 0 Jahre, ab 6 Jahre, ab 12 Jahre, ab 16 Jahre, ab 18 Jahre.
  • Alle „Anbieter“ müssen sicherstellen, dass Kinder der entsprechenden Altersstufe jeweils ungeeignete Inhalte nicht wahrnehmen. Dafür sind mehrere (alternative) Maßnahmen vorgesehen:
    o Es wird ein von der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) zugelassenes Altersverifikationsverfahren genutzt.
    o Inhalte werden nur zu bestimmten Uhrzeiten angeboten. (beispielsweise nur zwischen 22 und 6 Uhr, wenn ab 16 Jahre)
    o Alle Inhalte werden mit einer entsprechenden Altersfreigabe gekennzeichnet.
  • Die bestehenden Regelungen bezüglich schwer jugendgefährdenden Inhalten (das betrifft u.a. Hardcore-Pornographie usw.) bleiben natürlich in Kraft.

Der erste Punkt öffnet der Zensur, die die Netzgemeinde und eigentlich jede vernunftbegabte Person schon zu #Zensursulas Zeiten abgelehnt hat, Tür und Tor. Bisher waren die Zugangsanbieter von der Haftung der transportierten Inhalte ausgeschlossen. Das ist ungefähr so, als wenn der Satellitenbetreiber Astra dafür haftbar gemacht wird, daß ein Fernsehsender vor 18 Uhr einen Film ausstrahlt, der erst ab 18 ist – obwohl der Film vielleicht auf einem Sender läuft, der aus einem Land kommt, wo andere Gesetze gelten und der Film legal ist. Oder aber die Post macht sich anstatt des Verkäufers strafbar, weil sie ein indiziertes Buch an einen Jugendlichen transportiert. Genauso abwegig ist es, Provider, oder wie es hier heißt: Anbieter, für die Inhalte haftbar zu machen, die andere ins Netz stellen und verantwortlich dafuer sind.

Der zweite Punkt ist genauso abstrus. Was kümmert es amerikanische Medien, wenn dortiger Inhalt hier nicht dem Jugendschutz entspricht? Richtig! Das kümmert die Amerikaner genauso wenig wie etwa die Redaktion der Zeitschrift Bravo, daß die Themen des Dr. Sommer Teams in den USA für Empörung sorgen dürfte. Trotzdem sollen die Inhalte hier deswegen gefiltert bzw. blockiert werden. Man könnte auch sagen, sie sollen zensiert werden. Das mag vielleicht eine nette Idee sein, ist aber schlicht und ergreifend nicht umsetzbar, ohne eine ähnliche Zensurinfrastruktur aufzubauen, wie es etwa in China der Fall ist. Das aber wäre (mal wieder) völlig unverhältnismässig.

Der dritte Punkt ist auch sehr fragwürdig. Was bitte schön ist “zeitnah”? Sind das 5 Minuten, 2 Stunden? 1 Woche? Im Zweifel ist Google oder eine andere Suchmaschine eh schneller und hat den fragwürdigen Beitrag des fremden Nutzers schon indiziert und in den Cache aufgenommen. Auch dieses Beispiel zeigt, daß die Autoren des Entwurfs keine Ahnung haben, von was sie da eigentlich reden.

Der vierte Punkt ist aber der Hammer. Demnach sollen alle Inhalte ähnlich wie bei der Freiwilligen Selbstkontrolle bei Filmen nach Altersklassen klassifiziert werden und zusammen mit dem 5. Punkt muss dann der Zugang nur noch gewährleistet werden, wenn der User einen entsprechenden Altersnachweis vorweisen kann. Wer da eventuell an eine qualifizierte digitale Signatur ala neuen Personalausweis oder ELENA-Karte denkt, der denkt vermutlich nicht in die falsche Richtung. Internet könnte also zukünftig nur noch nutzbar sein, wenn man sich permanent im Internet authentifiziert.

Der Punkt mit der Sendezeitbeschränkung in Punkt 5 zeugt erneut von der Unwissenheit, wie das Internet funktioniert.

Kurzum: totaler Schwachsinn, den man eigentlich gar nicht kommentieren bräuchte, weil es so abwegig und hirnrissig ist, daß man keine Lebenszeit daran verschwenden sollte. Die Erfahrung aus den letzten zwei Jahrzehnten hat aber gezeigt, daß solche Entwürfe ganz oder teilweise dann doch in Gesetze gegossen werden – dank entsprechender Lobbyarbeit und personellen Verquickungen in Ministerien und Wirtschaft.

Der Kampf um Freiheiten und Bürgerrechte geht somit in die nächste Runde!

UPDATE:
Jan Filter hat auf freiewelt.net auch einen netten Artikel geschrieben.

Uncategorized