Presseschau: Haiyan, NSA & Co.

Viel ist in der letzten Zeit passiert. Anfangen will ich dieses Mal mit dem Taifun Haiyan, der über die Philippinen hinwegzog und eine Spur der Verwüstung hinterließ. Und just in diesen Tagen findet auch der UN Klimagipfel in Warschau statt. Dort sprach auch der Gesandte der Phlilppinen, Naderev “Yeb” Sano (@YebSano auf Twitter, Video auf Youtube): 

Yeb Sano findet recht deutliche Worte zu den Ursachen des Taifuns und tritt aus Solidarität mit seinen Landsleuten für die Dauer des Gipfels in den Hungerstreik.

Was mich beim Taifun Haiyan auch verwundert ist, daß nach Medienberichten jetzt die Hilfsaktionen anlaufen. Jetzt erst?! Es war doch schon tage vorher bekannt, daß der Taifun über die Philippinen hinweg ziehen und dabei viel Schaden anrichten wird. Warum also ist die Hilfe nicht schon längst angelaufen, so daß sie direkt nach dem Durchzug von Haiyan zu den Menschen gebracht werden konnte? Warum erst jetzt?

In Sachen NSA gab es auch einiges Lesenwertes. Kai-Uwe Steffen vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat einen Gastartikel bei Telepolis geschrieben und stellt darin auch einige Forderung in Hinblick auf die Folgen der aufgedeckten NSA-Affäre auf: 

  1. Einbestellung der Botschafter der “five-eyes”-Nationen.
  2. Beantragung eines EU-Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Vereinigte Königreich.
  3. Sofortige Aufkündigung des SWIFT-Abkommens zum Transfer von Bankdaten in die USA.
  4. Sofortige Aufkündigung der PNR-Abkommen zum Transfer von Fluggastdaten in die USA und nach Australien.
  5. Beendigung der “Safe-Harbor’-Praxis zur erleichterten Datenverarbeitung in den USA.
  6. Aussetzen der Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen TFTP.
  7. Abtrennen aller Militär- und Geheimdienststützpunkte der “five-eyes”-Nationen in Deutschland von den Kommunikationsnetzen. Androhung der Schließung der Standorte samt zeitnaher Ausweisung des für den Abbau nicht benötigten Personals
  8. Vorlage eines völkerrechtlich verbindlichen UN-Abkommens, dass Geheimdiensten das Infiltrieren, Manipulieren und Anzapfen von Kommunikationsnetzen von Drittstaaten verbietet.
  9. Vorlage eines völkerrechtlich verbindlichen UN-Abkommens, das Whistleblowern, die Verletzungen von völkerrechtlich verbindlichen UN-Abkommen aufdecken, in allen UN-Staaten Asylrecht garantiert.
  10. Vorlage eines völkerrechtlich verbindlichen UN-Abkommens, dass jedem Menschen den grundsätzlichen Schutz seines Menschenrechts auf Privatheit gegenüber allen staatlichen und privaten Instanzen in allen Staaten, samt Klage- und Auskunftsrecht, garantiert.

Im Prinzip sind das erstmal gute und valide Forderungen, wie ich finde. Über das eine oder andere Detail kann man natürlich noch reden. Ich würde auf jeden Fall auch noch die Umkehrung des Richtervorbehalts, also daß ein Richter den Eingriff in Grundrechte begründen muss statt bloß den Antrag des Staatsanwalts durchzuwinken. Ebenso muss mit Geheimniskrämerei Schluß gemacht werden. Bereits jetzt wird wieder das Internationale Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der USA und der EU im Geheimen unter weitgehendem Ausschluß der Vertreter der Zivilgesellschaft verhandelt. Was geheim verhandelt wird, ist von den Parlamenten rigoros und strikt abzulehnen.

Wie wichtig es ist, der Geheimniskrämerei Einhalt zu gebieten, zeigt auch ein zweiter Telepolis Artikel: ein Interview mit dem Bundesrichter Dieter Deiseroth.

Frage: Gibt es dazu nicht auch relevante geheime Vereinbarungen?

Dieter Deiseroth: In der Tat hat die deutsche Bundesregierung in Ziffer 6 eines geheimen Notenwechsels vom 27.5.1968 mit den drei Westmächten ausdrücklich den in einem früheren Schreiben des Bundeskanzlers Adenauer vom 23.10.1954 “zum Ausdruck gebrachten Grundsatz des Völkerrechts und damit auch des deutschen Rechts bekräftigt, wonach abgesehen vom Falle des Notstands, jeder Militärbefehlshaber berechtigt ist, im Falle einer unmittelbaren Bedrohung seiner Streitkräfte die angemessenen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Gefahr zu beseitigen”.

Es wird dabei nicht definiert, unter welchen Voraussetzungen eine “Gefahr” und eine “unmittelbare Bedrohung” in diesem Sinne vorliegen kann. Schon weil eine gerichtliche Überprüfung nicht vorgesehen ist, dürfte damit aber dem jeweiligen Militärbefehlshaber ein weiter Beurteilungsspielraum zukommen. Ihm allein obliegt dann auch zu entscheiden, ob und welche Mittel er einsetzt. In Betracht kommen kann dabei auch die Einschaltung des US-Militärgeheimdienstes NSA. Es ist bisher völlig ungeklärt, ob der Militärbefehlshaber oder die NSA, wenn sie im Falle einer “Gefahr” bei ihren “angemessenen Schutzmaßnahmen” in Deutschland nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, eigenständig handeln können oder sich nach Maßgabe des G10-Gesetzes immer an den BND oder das Bundesamt für Verfassungsschutz wenden müssen. Klar ist damit in dieser Grauzone jedenfalls, dass hier ein wichtiges Einfallstor für Überwachungsmaßnahmen existiert.

[…]

Frage: Nochmal zum Thema “Geheimverträge”: Im Sommer diesen Jahres teilte die Bundesregierung mit, dass sie im Einvernehmen mit den USA eine geheime Vereinbarung von 1968 über die Zusammenarbeit bei der Post- und Telefonüberwachung außer Kraft gesetzt habe. In den Jahren zuvor hatte sich die Regierung noch dem Parlament gegenüber geweigert, dieses und ähnliche Abkommen zu veröffentlichen oder zu diskutieren. Es steht in offenkundigem Widerspruch zu demokratischen Prinzipien, wenn die Regierung geheime Verträge mit anderen Mächten schließt, ohne das Parlament zu informieren, geschweige denn zu beteiligen. Ist ein solches Regierungshandeln nach deutschem Recht überhaupt legal?

Dieter Deiseroth: Geheimverträge haben in den internationalen Beziehungen vielfach schlimmste Folgen gehabt. Daher hat man nach dem 1. Weltkrieg versucht, diesen ihre völkerrechtliche Bindungswirkung zu nehmen. Das ist auf völkerrechtlicher Ebene bisher nur insofern gelungen, als sie gemäß Artikel 102 der UN-Charta dem beim UN-Generalsekretär geführten Register gemeldet werden sollen. Vor Organen der UNO, zum Beispiel vor dem Internationalen Gerichtshof und vor dem UN-Sicherheitsrat können sich Staaten nur dann auf einen von ihnen abgeschlossenen Geheimvertrag berufen, wenn er beim UN-Generalsekretär registriert ist.

Nach deutschem Verfassungsrecht bedürfen völkerrechtliche Verträge und Abkommen, die Gegenstände der Gesetzgebung betreffen oder die politischen Beziehungen des Bundes regeln, nach Artikel 59 Absatz 2 des Grundgesetzes der förmlichen Zustimmung des Gesetzgebers. Wird von der Exekutive ein Geheimvertrag geschlossen und dabei der Gesetzgeber umgangen, ist dies Verfassungsbruch.

Frage: Könnte man sich dagegen vor Gericht wehren?

Dieter Deiseroth: Das ist eine sehr komplizierte Frage, weil ein Erfolg vor Gericht von mehreren Faktoren abhängt. Der Bundestag oder auch antragsberechtigte Teile des Gesetzgebers könnten zum Beispiel eine sogenannte Organklage beim Bundesverfassungsgericht gegen die Bundesregierung erheben. Außerdem kommt in Betracht, den Versuch zu unternehmen, vor den zuständigen Verwaltungsgerichten gegen eine in Rechte von Bürgern eingreifende staatliche Entscheidung deutscher Stellen – zum Beispiel über bestimmte Arten der Kooperation mit ausländischen Nachrichtendiensten oder über die Zulassung oder Duldung solcher Aktivitäten – oder Unterlassung zu klagen und dabei die entscheidungserheblichen Rechtsgrundlagen zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen.

In jedem Falle stellen sich sehr schwierige, bisher vielfach ungeklärte rechtliche Probleme, auf die ich hier nicht im Einzelnen eingehen kann. Außerdem geht es sehr real auch um grundsätzliche Fragen des Verhältnisses von Judikative und politischer Macht. Für die Gerichte, die ja auf die Herstellung von Rechtsfrieden ausgerichtet sind, stellen sich dabei komplexe Akzeptanz- und Umsetzungsprobleme. Das geht an die Grenzen dessen, was die Justiz leisten kann. Dabei spielt das gesellschaftliche und politische “Umfeld”, in der ein solcher Konflikt ausgetragen wird, eine wichtige Rolle. Belassen wir es bei diesen eher skizzenhaften Bemerkungen.

Deiseroth nimmt auch Bezug auf die Erkenntnisse von Historiker Prof. Dr. Josef Foschepoth und schlägt in dieselber Kerbe, daß die flächendeckende Überwachung im Grunde gesetzeswidrig ist und gegen unsere Grundrechte verstößt. Nun muss es auch entsprechende Folgen haben. Und nein, es kann sich niemand herausreden, daß er oder sie nichts zu verbergen hat.

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