NSA und PRISM

Aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, daß ich mich noch nicht weiter zu den Vorkommnissen rund um die amerikanische NSA und die britische GCHQ geäußert habe. Die Nachrichten sprechen eigentlich ja auch für sich. Wer sich informieren möchte, kann dies bei der sehr umfangreichen Linksammlung von Frank Guthausen vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung tun.

Bemerkenswert finde ich aber derzeit die Reaktion von Presse und Politik. Man könnte fast meinen, daß sich langsam aber sicher etwas ändert. Wenn zum Beispiel der Donaukurier auf der Titelseite einen offenen Brief zum Thema abdruckt, dann ist das etwas, was ich so in der Form noch nicht gesehen habe:

 

Edward Snowdens Enthüllungen über die Praktiken britischer und amerikanischer Geheimdienste beunruhigen uns. Ja, sie machen uns Angst. Wir wissen jetzt, dass Regierungen und deren Behörden mittels digitaler Technik unser Leben überwachen und kontrollieren können. Sie hören unsere Anrufe ab, öffnen unsere E-Mails, verfolgen unsere Wege und schauen in unsere Konten. Selbst zu Hause sind wir vor ihren Blicken nicht sicher. Alles, was wir tun, können sie aufzeichnen und bei Bedarf betrachten. Anders ausgedrückt: Fremde Menschen und Mächte, deren Absichten wir nicht kennen, entscheiden darüber, ob wir noch ein Privatleben haben oder nicht.[…]

 

Im Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Zu dieser Würde gehört unabdingbar das Recht auf Privatheit. Wir erwarten von unserer Regierung, dass sie dieses Recht schützt und verteidigt. Nur so kann jenes Vertrauen entstehen, das Sicherheit schafft und offene, bürgerliche Gesellschaften wie ein unsichtbares Band zusammenhält. Doch unser Vertrauen in den Staat und seine Institutionen schwindet.

Und darin liegt eben die Brisanz des Themas rund um PRISM und Tempora. Bisherige Verbündete und sogenannte “Freunde” hören uns ab. Und zwar alles und seit Jahrzehnten. Bereits Echelon war ein 90er Jahren ein riesiges Überwachungsprogramm der USA, um die weltweite Kommunikation zu überwachen und abzuhören.

Als wir 2009 im Zuge der Diskussion um Internetsperren und #Zensursula davor gewarnt haben, daß man damit eine Zensur- und Überwachungsinfrastruktur errichten würde, wurden wir als Spinner verspottet. Schließlich würden wir ja in einem Rechtsstaat leben und da wäre es undenkbar, daß die gesamte Bevölkerung überwacht. Tja. Jetzt wissen wir, daß es nicht nur bei der Vermutung geblieben ist, die wir seit langem hatten. Aber sei es drum. Jetzt ist die Katze aus dem Sack.

Der Journalist Richard Gutjahr schreibt zu Recht, daß wir durchaus auch eigene Leichen im Keller haben: 

Auch in Deutschland werden seit Jahren sämtliche E-Mails nach Stichworten („Bombe“) gefiltert, analysiert und ausgewertet. 37 Millionen allein im Jahr 2010. Die Zahl der abgehörten Telefonate und Handyortungen explodiert (Übrigens: Dabei geht es so gut wie nie um Terrorfahndung, sondern um Drogen, Raub oder Steuerdelikte – siehe: Die Anti-Terror-Lüge). […]

Dank Bestandsdatenauskunft, die erst vor wenigen Wochen mit den Stimmen der CDU, CSU, FDP und SPD beschlossen wurde, haben rund 250 Behörden in Deutschland automatisierten Zugriff auf unsere E-Mail- und Telefondaten. Als Anlass genügt schon eine Ordnungswidrigkeit. Lasst uns festhalten: Ihr könnt tun und lassen was Ihr wollt.

Ihr behauptet, Ihr habt in guter Absicht gehandelt. Redet Euch ein, dass Ihr das dumme Volk vor sich selbst beschützen musstet (“Ich liebe, ich liebe doch alle…”), dass Sicherheit zu einem Preis kommt. 100 prozentige Sicherheit kann es nicht geben, habt Ihr selbst immer wieder gesagt. Daran glauben wolltet Ihr nie. Mit immer mehr Befugnissen, Geld und Personal, seid Ihr immer tiefer in unsere Gehirne eingedrungen; getrieben allein aus dem einen Grund: weil es geht.

In der Tat scheinen die Geheimdienste außer Kontrolle geraten zu sein und den Boden der Rechtsstaatlichkeit und der Verfassung verlassen zu haben. Warum? Weil es technisch geht. Doch nicht das technisch Mögliche sollte Maßstab für die Geheimdienste und den Staat als solches sein, sondern Recht und Gesetz. Oder anders ausgedrückt: der Staat basiert auf der Verfassung und auf den Grundrechten. Sie allein sind der Maßstab staatlichen Handelns – zu dem auch die Geheimdienste gehören. 

Die Frage ist: sind die Geheimdienste noch Bestandteil des Staates oder existieren sie außerhalb? Es wird an uns allen liegen, diese Frage zu beantworten. Wollen wir einen Staat, der von den Geheimdiensten kontrolliert wird oder wollen wir einen Staat, der die Geheimdienste kontrolliert?

Wenn wir uns dafür entscheiden, daß der Staat die Kontrolle über die Geheimdienste ausübt, dann muss sich etwas ändern. Und zwar jetzt. Sofort! Die Abhörprogramme der USA und der Briten müssen Folgen haben. Und es darf nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Die EU hat die Möglichkeit den Datenaustausch zu stoppen. Das betrifft das Safe Harbor Abkommen, das SWIFT-Abkommen, das PNR-Abkommen und andere mit den USA, aber zum Beispiel auch die EU-eigene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.

Das Problem mit den Geheimdiensten in (zumindest) Deutschland ist die mangelnde Kontrolle. Es gibt zwar mit dem G10-Gesetz ein Gesetz, das diese Kontrolle regeln soll, aber das ist nahezu nutzlos. In der G10-Kommission sollen Parlamentarier die Geheimdienste kontrollieren, aber das funktioniert nicht.

Zufälligerweise hatte die Badische Zeitung ein interessantes Interview mit dem Historiker Josef Foschepoth vom 9. Februar 2013 zum Thema Geheimdienste und dem Bruch des Artikel 10 GG (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis)

BZ: Wie ist das zu erklären?
Foschepoth: In einem Gutachten des Bundesjustizministeriums, das erst 1967 aus dem Verkehr gezogen wurde, hieß es, dass der Beamte aufgrund seines Treueverhältnisses verpflichtet sei, jeden Schaden vom Staat abzuwenden. Der Staatsschutz rangierte höher als der Schutz der Grundrechte. Eine Perversion des Grundgesetzes. Danach sind die Grundrechte das höchste Rechtsgut. Nicht der Staat steht über der Verfassung, sondern diese über dem Staat. […]

BZ: Mit den Notstandsgesetzen wurde damals auch das berüchtigte G-10-Gesetz verabschiedet – das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses. Hat das an den chronischen Verstößen etwas geändert?
Foschepoth: Zum einen wurde in der Tat die gesetzlose und verfassungswidrige Praxis auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Zum andern stand das G 10-Gesetz jedoch unter dem Diktum der Alliierten, die Überwachungspraxis in vollem Umfang beizubehalten. Alliiertes Recht musste in deutsches Recht überführt werden, das den drei Westmächten auch in Zukunft alle Formen und Möglichkeiten der Überwachung weiterhin offen hielt.

BZ: Unglaublich. Die Abschaffung der alliierten Rechte war nur möglich, wenn sie in deutschem Recht fortgeschrieben wurden?
Foschepoth: So ist es. Es geht noch weiter. Eine solche Regelung stand natürlich unter striktem Geheimhaltungsgebot. Um das für alle Zukunft zu sichern, musste das Grundgesetz geändert werden. Deshalb steht bis heute in Artikel 10, dass der, der aus nachrichtendienstlichen Gründen überwacht wird, keinen Anspruch hat, darüber informiert zu werden. Gleichzeitig wurde – ein Unding für einen Rechtsstaat – der Rechtsweg ausgeschlossen. Mit dieser Regelung war die Gewaltenteilung faktisch aufgehebelt, wie renommierte Staatsrechtler kritisierten. Diese massive Einschränkung des Rechtsstaates ist bis heute nicht aufgehoben. Sie geht im Kern zurück auf alliiertes Recht.

Sollte Foschepoth damit Recht haben, dann muss sowohl der Artikel 10 GG als auch das G10-Gesetz geändert werden. Es kann nicht angehen, daß ein ausländischer Geheimdienst sich die rechtliche Erlaubnis zur Überwachung der Bundesbürger in das Grundgesetz schreiben läßt.

Das Abhörprogramm der NSA ist lediglich die Spitze des Eisbergs, der größer ist als alles bisher dagewesene. Der Skandal ist höchstem Maße demokratiegefährdend und eine Gefahr für unsere Gesellschaft an sich. Wenn sogenannte Verbündete und Freunde sich gegenseitig ausspionieren, dann gibt es ernstzunehmende Probleme im Grundverständnis von Recht und Demokratie. Insbesondere dann, wenn das Abhörprogramm unter dem Schutzmantel der Terrorbekämpfung durchgeführt wird. Das Abhören befreundete Parlamente, wie es in Brüssel geschehen ist, kann nun aber beim besten Willen nicht als Kampf gegen den Terror gewertet werden, sondern es ist schlicht und einfach Spionage. Wenn dann noch die Bundesrepublik Deutschland als Angriffsziel angesehen wird, dann ist es Zeit, die Sache mit der Freundschaft und dem Bündnis ernsthaft zu hinterfragen.

Daß die Staaten sich da in nichts nachstehen, macht die Sache nicht besser, sondern zeugt von einem grundlegenden Fehlverständnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. An dessen Stelle ist Mißtrauen getreten. Mißtrauen gegenüber den eigenen Verbündeten und der eigenen Bevölkerung.

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1 thought on “NSA und PRISM

  1. Schutz der Privatsphäre im Internet
    Die aktuelle Diskussion verstehe ich nicht wirklich. Die ganze Welt stellt Ihre persönlichen Daten über die Sozialen Netzwerke auf fremden Servern ab und die meisten Unternehmen legen Ihre Firmendaten mitlerweile ebenfalls auf fremden – als Cloud bezeichneten und zumeist in den USA basierten – Servern ab.
    Und jetzt wundern sich alle, dass darauf zugegriffen wird? Wie naiv ist das denn?
    Wir glauben an die private Cloud! Lass all Deine Daten bei Dir auf Deinem Server und greife verschlüsselt darauf zu. Das ist das Konzept hinter iTwin und das wird die Zukunft sein!

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