NSU – was wußte der Staat?

Gestern hat die Frankfurter Rundschau berichtet, daß die Behörden und die Innenminister wohl mehr über den rechtsradikalen Untergrund NSU wussten als bisher angenommen:

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) gerät wegen seines Verhaltens bei der Aufklärung eines mutmaßlichen Mordes der Rechtsterroristen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) in Kassel im Jahr 2006 unter Druck. Dort war der Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat erschossen worden, während der hauptamtliche Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz Andreas T. in dem Café im Internet surfte. […]

Sein Ministerium verweigerte den Akten zufolge eine Genehmigung für die Vernehmung eines rechtsextremen V-Manns, der von dem hauptamtlichen Mitarbeiter Andreas T. geführt wurde, durch Polizei oder Staatsanwaltschaft. Es gehe ja „nur um ein Tötungsdelikt“, nicht um eine Staatsschutzsache, sollen Verfassungsschützer erklärt haben. Selbst die Bemühungen bayerischer Ermittler, Bouffier über seinen Amtskollegen Günther Beckstein (CSU) dazu zu bewegen, die Aussage zu gestatten, führten nicht zum Erfolg.

Offensichtlich war den Behörden schon 2006 also schon die Terrorzelle bekannt und auch, daß diese ausländischstämmige Mitbürger ermordet. Denn wenn zufällig der V-Mann dort vor Ort gewesen sein sollte, aber der Mord nichts mit dem zu tun hatte, was der V-Mann beobachten sollte, dann hätte er ja aussagen können. Daß nun der damalige Innenminister Bouffier dieses Verhalten gedeckt haben soll, gibt dem Ganzen auch noch eine besondere politische Note. Warum ist Bouffier damals an der Verhinderung der Aufklärung eines Mordfalls gelegen? Daß sein bayerischer Kollege Beckstein offensichtlich auch hiervon  wusste und versuchte zu intervenieren, macht die Sache nicht besser.

Insgesamt betrachtet offenbart die Affäre um die NSU, daß der Staat auf dem rechten Auge offenbar leider blind ist. Zum einen kann da eine Gruppierung über Jahre hinweg im Untergrund agieren, Leute ermorden und bleibt bei alledem vom Staat unbehelligt, obwohl der Verfassungsschutz sie beobachtet. Es werden sogar Morde gedeckt. Zum anderen werden Akten just an dem Tag vernichtet, an dem die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernimmt.

Das alles erscheint mir mehr als fragwürdig, insbesondere in der Hinsicht, ob sich nicht ganz woanders die Staatsfeinde befinden? Wenn Behörden und Politiker meinen, daß sie über oder außerhalb des Gesetzes stehen und agieren können, dann ist das eine gefährliche Entwicklung, der man unverzüglich Einhalt gebieten sollte. Politische Konsequenzen sind so oder so gefragt. Jetzt und nicht irgendwann.

UPDATE:
Gerade gesehen, daß auch die Süddeutsche Zeitung etwas zum Thema Innenminister und NSU hat. In diesem Fall betrifft es sogar unseren damaligen Bundesinnenminister Schäuble, der ja nun immer noch als Bundesfinanzminister im Amt ist: 

Mitleid ist unangebracht, aber leicht hat es der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht. Heinz Fromm muss jetzt ausbaden, dass einer seiner Beamten Akten vernichtete. Und früher fiel ihm im Kampf gegen den Rechtsextremismus das Bundesinnenministerium in den Rücken. Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und sein Staatssekretär August Hanning setzten sich im Jahr 2006 über den Rat Fromms hinweg und ließen beim Verfassungsschutz die beiden Abteilungen zur Beobachtung des Links- und des Rechtsextremismus zusammenlegen. Fromm widersprach vehement. Das belegt ein interner Schriftverkehr, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Warum also wurden diese beiden Abteilungen zusammengelegt? From weiter im Interview: 

“Die jüngsten Übergriffe auf Ausländer sowie die medienwirksamen Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene zeigen die fortdauernde Notwendigkeit einer intensiven Bearbeitung dieses Bereichs”, schrieb Fromm im Juli 2006 ans Innenministerium. Die Fusion könnte als “Vernachlässigung dieser Schwerpunktaufgabe” aufgefasst werden. Er “möchte dringend abraten”, betonte Fromm. Das half aber nichts.

Angeblich soll das Ganze dazu gedient haben, Geld zu sparen, um damit besser die bösen islamistischen Terroristen jagen zu können. Eine offensichtliche Fehleinschätzung, wie man nun weiß.

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1 thought on “NSU – was wußte der Staat?

  1. NSU
    Die Erkenntnisse die mittlerweile zu Tage gefördert wurden, in ihrer Gesamtheit, lassen einem schon Übelkeit hochkommen. Dass sich die Lage für deutsche staatliche Strukturen (welche anscheinend Mitglieder die NSU angeleitet haben und seeeehr lange über die NSU Bescheid wussten) zuspitzt, ist unübersehbar.

    Außerdem wird man sicherlich die Frage stellen müssen, wenn Teile der deutschen Behörden eingeweiht waren und das über scheinbar sogar längere Zeit, wieso diese es nicht verhindert haben, dass Menschen getötet wurden, Menschen verletzt wurden, Bomben gezündet wurden, Raubüberfälle begangen wurden usw. – Die rechtliche Konsequenz aus diesem “Wegschauen” dürfte jetzt schon feststehen, ich denke mal dass der Gesamtfall jetzt erst richtig ins Rollen kommt – und ob die drei Clowns der NSU die einzigen sind, ist noch eine ganz andere Frage.

    Tut mir leid, aber dies erinnert mich stark an Gladio-Netzwerke – dachte eigentlich diese Zeiten des staatlichen Terrors unter falscher Flagge (Strategie der Spannung) wären vorbei, es scheint leider nicht so zu sein.

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