Beschneidung als Religionsfreiheit?

Derzeit sorgt ein Urteil des Landgerichts Köln für Aufruf. Vor allem unter jüdischen und islamischen Mitbürgern. Der Grund hierfür ist, daß das Landgericht geurteilt hat, daß die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen eine Körperverletzung darstellt: 

Das Gericht hat Klarheit geschaffen, doch aus der Welt ist das Problem noch lange nicht. Wer in Deutschland einen Jungen aus religiösen Gründen beschneidet, begeht als Arzt eine Körperverletzung – auch wenn die Eltern des Kindes den Eingriff ausdrücklich wünschen. Das Landgericht Köln hat damit eine klare Position bezogen und eine Debatte befeuert, die seit Jahren hitzig geführt wird. 

Es geht um nicht weniger als die Frage, was höher wiegt: die Religionsfreiheit der Eltern oder das Recht eines Kindes auf körperliche Unversehrtheit. Die Kölner Richter haben nun entschieden, dass das Recht der Eltern auf religiöse Kindererziehung keinen Vorrang hat gegenüber dem Recht des Kindes auf Selbstbestimmung. Vielmehr kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Beschneidung dem Kindeswohl entgegensteht. Das Urteil ist für andere Gerichte nicht bindend, wird aber wohl die künftige Rechtsprechung beeinflussen.

Meiner Meinung nach exakt das richtige Urteil. Wer als Kleinkind beschnitten wird, ist in der Regel noch so klein und jung, daß er nicht selber über seine Religionszugehörigkeit entscheiden kann. Vielleicht entscheidet sich der Junge später dafür, Buddhist zu werden. Oder Atheist. Oder Hinduist? Beschnitten ist er dann trotzdem. Wer sich bewußt für die Religion und damit auch für eine Beschneidung entscheidet, soll das tun können. Für eine freie Religionswahl würde ich eventuell 12 Jahre ansetzen, für eine Beschneidung vielleicht 14-16 Jahre. Bei entsprechender Reife des Kindes eventuell auch vorher. Das sollte dann aber auch durch einen, besser zwei Psychologen festgestellt werden.

Die Reaktion der Religionsgemeinschaften hat auch nicht lange auf sich warten lassen. Spiegel berichtet z.B.: 

Der Zentralrat der Juden hatte das Urteil bereits am Dienstag als beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften kritisiert. Zentralratspräsident Dieter Graumann sagte: “Diese Rechtsprechung ist ein unerhörter und unsensibler Akt.”

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) äußerte sich ähnlich. Man sehe in dem Urteil “einen eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht”, teilte der Verband mit. Religionsfreiheit sei ein sehr hohes Gut und dürfe nicht Spielball einer eindimensionalen Rechtsprechung sein, die bestehende Vorurteile und Klischees weiter verfestige, sagte der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek.

Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) äußerte sich kritisch zu dem Urteil. Die Beschneidung von Jungen sei seit Jahrhunderten religiöse Praxis bei Juden und Muslimen, die nun in Frage gestellt werde, teilte die Gemeinde mit. Sie geht davon aus, dass eine höhere Instanz das Urteil korrigieren werde.

Und auch die katholische Bischofskonferenz meldet sich zu Wort: 

Eingriff in die Religionsfreiheit oder Schutz vor Körperverletzung? Die Deutsche Bischofskonferenz hat das Urteil des Kölner Landgerichts zur Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen scharf kritisiert. Die Entscheidung sei “äußerst befremdlich, weil es der grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit der Eltern und ihrem Erziehungsrecht in keiner Weise gerecht wird”, sagte Heinrich Mussinghoff, Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum.

Auch die Beschneidung von Mädchen ist teilweise jahrhundertalte Tradition. Sie ist trotzdem aus gutem Grund fast weltweit geächtet. Warum soll die Beschneidung von Jungen dann nicht geächtet werden? Das Verbot der Beschneidung greift doch auch gar nicht in die Religionsfreiheit der Eltern ein! Die Eltern können wie bisher ihre Religion frei ausüben. Aber auch das Kind hat das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Grundrecht auf Religionsfreiheit – was auch das Recht einschließt, seine Religion selber frei bestimmen zu dürfen.

Wenn die katholische Bishofskonferenz kritisiert, daß mit dem Urteil in das grundgesetzlich geschützte Erziehungsrecht der Eltern eingegriffen wird, dann seien die Bishöfe daran erinnert, daß der Gesetzgeber schon die einfache körperliche Züchtigung, wie es früher wohl immer so “schön” hieß verboten hat: sogar eine Ohrfeige der Eltern gilt inzwischen als Körperverletzung des Kindes und steht unter Strafe. Um wieviel schwerer wiegt da also die irreversible Beschneidung eines Kindes, völlig egal ob Mädchen oder Jungen, ob Scheide oder Penis!

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3 thoughts on “Beschneidung als Religionsfreiheit?

  1. Religionsfreiheit
    Die individuelle Religionsfreiheit ist ein Teil der allgemeinen Gewissensfreiheit. Sie entstand nach dem Dreißigjährigen Krieg lediglich als modus vivendi. Erst nach vielen Jahren konnte sie sich als eigenständiger Wert entwickeln und ist heute Teil der Gewissensfreiheit. In einer freien Gesellschaft ist die Betonung der individuellen Religionsfreiheit schlicht und einfach überflüssig.
    Man kann aber auch Kollektive mit Rechten ausstatten. Für Vereine, Gesellschaften, Religionsgemeinschaften oder Parteien ist dies lediglich ein “nice to have”, da diese Rechte nicht mit den Individualrechten kollidieren oder diese ausschalten dürfen.
    Es ist nicht einzusehen, warum Religionen mehr Rechte haben als Karnevalsvereine. Und es ist unerträglich, wenn den Angehörigen einer Religion etwas erlaubt ist, was Ungläubigen verboten ist.
    Die Konsequenz kann nur lauten: Schaffen wir die Religionsfreiheit ab.

    1. Naja, Religionsfreiheit als
      Naja, Religionsfreiheit als eigenstaendiges Grundrecht ist schon ok. Wo ich aber konform gehe, ist, dass die Religionsprivilegien abgeschafft werden sollten. Das wuerde in der Tat dann dazu fuehren, dass Kirchen und Vereine nahezu gleichgestellt werden wuerden. Und auch die Staatsleistungen von derzeit gut 466 Mio. Euro an die Kirchen wuerden wegfallen. Die Humanistische Union setzt sich z.B. auch genau dafuer ein.
      Ich sehe Religion und Glauben als eine sehr persoenliche Angelegenheit. Also in keinster Weise etwas, was im direkten Zusammenhang mit dem Staat stehen sollte. Die einzige Leistung des Staates an Kirchen sollte im Zusammenhang mit sozialen Einrichtungen wie Krankenhaeusern, Kindergaerten, Sozialstationen stehen.

  2. Reaktion der großen Kirchen
    Die Reaktion der katholischen (und auch evangelischen Kirche) ist verständlich. Letztendlich geht es doch darum, hart gegenüber dem Staat aufzutreten und die eigene Macht sowie Weitergeltung eigener Traditionen zu verteidigen. Für die Kirchen ist das Kölner Urteil nicht nur ein Angriff auf islamische und jüdische Traditionen bzw. Religionsgesetze, sondern auch ein Angriff auf die Religion als solche. Insoweit nicht verwunderlich. Schade allerdings – und auch wieder fast typisch – ist, daß den Kirchen das Wohl der schutzlosen Kinder weniger wichtig ist als das Beharren auf Traditionen und Macht.

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