EIDG und PNR

Wer es nicht mitbekommen hat: gestern spielten sich zwei Dramen ab. Das eine in Berlin bei der Enquéte-Kommission Internet und digitale Gesellschaft (EIDG), das andere in Brüssel im Innenausschuß des Europäischen Parlaments.

Bei der EIDG konnte man gestern offenbar sehr schön lernen, woher die Politikverdrossenheit der Bürger kommt, wenn man den Twitter-Meldungen derjenigen Glauben schenken darf, die entweder direkt vor Ort waren oder sich den Live-Stream angeschaut haben. Denn es wurde nicht in der Sache beschlossen, sondern parteipolitisch motiviert. Die Zeit schreibt hierzu: 

Für das, was derzeit in der Internet-Enquete-Kommission geschieht, haben wir in unserem gesellschaftlichen Gedächtnis ein Bild gespeichert. Es ist das Bild des sogenannten Lagerkampfes: Zwei Seiten ringen mit allen Tricks und Kniffen darum, wer ein Thema dominieren darf. Sie ringen so heftig, dass es irgendwann nicht mehr um das grundliegende Problem geht, sondern nur noch darum, wer gewinnt, beziehungsweise darum, wer besser aussieht.

[…]

Inzwischen sind von den zwei Jahren, die die Kommission dafür Zeit bekommen hat, anderthalb vorüber. Und es bleibt nur ein Fazit: Die Enquete ist gescheitert.

Das deckt sich in etwa auch mit den Reaktionen auf Twitter. Unverständnis wurde dort vor allem auch deswegen geäußert, weil im Vorfeld in den Arbeitsgruppen wohl weitestgehend Einigkeit herrschte. Um einen Überblick zu bekommen, lohnt es auch Heise, Spiegel und Netzpolitik.org zu lesen.

Das andere Drama fand, wie gesagt, mal wieder in Brüssel statt und handelt dieses Mal (erneut) vom Passenger Name Records (PNR) Problem. Der Innenausschuß des Europäischen Parlaments hat gestern nämlich der Annahme des Passagierdatenabkommens mit Australien zugestimmt. Jan Philipp Albrecht schreibt: 

Dass auch Liberale und Sozialdemokraten das neue Abkommen mit Australien zur Vorratsdatenspeicherung und Rasterung der Daten völlig unverdächtiger Fluggäste angenommen haben, ist eine herbe Enttäuschung und ein Rückschlag für den Ruf des EU-Parlamentes als verlässliche Instanz zum Schutz der Bürgerrechte. Nach jahrelangem Streit mit Rat und Kommission hat die Mehrheit der Abgeordneten im Innenausschuss offenbar den Maßstab  verloren. Inhaltlich gibt es praktisch mehr Verschlechterungen als Verbesserungen gegenüber dem alten, vom Parlament wiederholt kritisierten Abkommenstext.

Eine Speicherung der Informationen aller einreisenden EU-Bürger auf fünfeinhalb Jahre ist und bleibt unverhältnismäßig. Zudem ist die Zweckdefinition für die Datenverwendung unbestimmt und umfasst deutlich mehr als lediglich die Terrorismusbekämpfung. Das größte Problem stellt das so genannte ‘Profiling’ dar, bei dem Personen und ihr Verhalten ins Blaue hinein mit Verdachtsprofilen abgeglichen werden. Diese Rasterfahndung ist mit den Menschenrechten und der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung nicht vereinbar.

Warum das PNR-Abkommen nicht durch das Parlament durchkommen darf, schreibt im Übrigen Telepolis in einem Artikel sehr schön: 

Airlines müssen schon jetzt vor jedem Flug in die USA ein umfangreiches Datenpaket über ihre Passagiere an das Department of Homeland Security (DHS) übermitteln, das diese mit Datenbanken auf vermeintliche "Risiken" abgleicht (Austausch "faktenbasierter Reisemuster"). Der Europäische Rat hatte die Kommission beauftragt, neben den USA gleichzeitig mit Kanada und Australien zu verhandeln, da mit beiden Ländern ähnliche neue Vereinbarungen geplant sind. Daraus wurde nichts: Das Abkommen mit Australien wurde bereits eilig unterzeichnet, während die Verhandlungen mit den USA weiter stocken: Die US-Regierung weigert sich, Zugeständnisse hinsichtlich von Rechtsschutz oder der zu langen Speicherdauer zu machen. Die Daten sollen 15 Jahre lang aufgehoben werden.

Hasbrouck kritisiert unter anderem, dass das PNR-Abkommen keinen internationalen Vertrag darstellt und somit im Falle von Streitigkeiten über die Auslegung für die USA ohnehin nicht verpflichtend wäre. Die PNR-Datenbanken wurden zudem vom US-Datenschutzgesetz ausgenommen. Mehr oder weniger erfolgreich hat er dennoch das Department of Homeland Security verklagt: Die Behörde musste die über ihn gespeicherten Daten herausrücken, wenngleich erhebliche Teile geschwärzt waren. Der Datensatz enthielt neben den Reservierungsdaten auch Mitteilungen über IP-Adressen und Telefonnummern, von denen mit Airlines kommuniziert wurde. Mitreisende und Zwischenübernachtungen in Hotels werden gleichsam registriert – ebenso, ob ein Doppel- oder Einzelzimmer gebucht wurde.

Es wird im Artikel weiterhin darauf hingewiesen, daß Mitarbeiter vom US-amerikanischen Department of Homeland Security (DHS) in Europa und Deutschland stationiert sind und dort den Mitarbeitern der Fluggesellschaften Weisungen, bzw. in deren Jargon "Ratschläge", erteilen, wer mitfliegen darf und wer nicht.

Bemerkenswert finde ich diese Praxis auch in Hinblick auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag, mit dem Deutschland eigentlich seine volle Souveränität erlangte. Bis dahin stand Deutschland unter Besatzungsstatut bzw. alliiertem Vorbehaltsrecht. Es ist also unverständlich, wieso sich ein souveräner Staat wie die Bundesrepublik sich dermaßen von einem anderen Staat wie einen Ochsen an der Nase herum führen läßt. Für die übrigen EU-Staaten gilt das natürlich genauso. Stünden wir immer noch unter Besatzungsstatut bzw. Vorbehaltsrecht, könnte ich das ja vielleicht noch verstehen. Tun wir aber seit dem 15. März 1991 nicht mehr. Die Bundesrepublik wäre gut beraten, endlich auch mal eine eigene Linie zu finden und sich nicht alles vom großen Bruder USA vorkauen zu lassen.

Uncategorized