Business as usual – politische Dresche von allen

Die Wahl der Piraten in das Abgeordnetenhaus von Berlin ist noch keine Woche her, da hagelt es schon Kritik und Häme von allen Seiten. Angefangen von den üblichen "Protestpartei"-Anschuldigungen über Transparenz-Debatten bis hin zur Kritik hinsichtlich der wenigen Frauen in der Piratenpartei. Ich bin sicherlich niemand, der die Piraten über den grünen Klee lobt, aber die derzeitige Welle der Kritik kann ich nicht nachvollziehen.

Zur Protestpartei läßt sich sagen, daß es unwahrscheinlich ist, daß es sich um eine reine Protestwahl handelt, wenn 9% der Wähler einer Partei ihre Stimme geben. Da mögen etliche Protestwähler darunter sein, aber in der Regel dürften Protestwähler wohl eher Parteien wählen, die keine Aussichten auf den Einzug ins Parlament haben. Ich denke, daß die Berliner Wähler durchaus erkannt haben, daß die Piraten eben anders sind und noch nicht so im Politikalltag involviert, wie zum Beispiel die Grünen. Ich habe es auch lieber, wenn ein Politiker mir sagt, daß er von einer Sache keine Ahnung hat und zugibt, daß er sich da noch in etwas reinarbeiten muss, als Politiker, die in typischen Politikerneusprech viel reden, aber nichts sagen.

Die andere Sache mit der Transparenz ist in der Tat schon ein bißchen peinlicher. Da haben sich die Piraten zu einer ersten "Fraktionssitzung" getroffen und schon geht der Streit los, ob man nun alles live streamen soll oder nicht:

Doch gerade an diesem zentralen Thema entzündet sich der erste interne Zwist: Am Montagabend versammelten sich die Piraten in ihrer Geschäftsstelle "P9" in Berlin-Mitte, um über die künftige Agenda zu debattieren. "Ich werde nicht die nächsten fünf Jahre mit einem Aufnahmegerät rumlaufen", kritisierte der künftige Abgeordnete Christopher Lauer die Pläne der totalen Transparenz. "Wir reden darüber, dass wir ins Parlament kommen, wo wir einfach unsere Hausaufgaben machen müssen."

"Wovor haben wir Angst?", warf sein Kollege Gerwald Claus-Brunner, in Blaumann und Kopftuch gekleidet, ein. "Wir sind transparent, damit sind wir in den Wahlkampf gegangen."

Pavel Mayer bringt sogar das böse Zensur-Wort ins Spiel: Sein Vorschlag sei, nicht per Livestream nach draußen zu übertragen, sondern nur als Aufzeichnung. Dann müsse man "gegebenenfalls zensieren, und zwar ernsthaft an Stellen, wo es um personenbezogene Dinge geht."

Co-Pirat Simon Kowalewski gefällt die Idee: "Wenn etwas richtig doof ist, kann man das auspiepsen." Ein Raunen geht durch die Reihen der Piraten. Sieht so die absolute Offenheit aus?

Da müssen sich die Berliner Piraten dann schon mal nachfragen gefallen lassen, da sie ja explizit für mehr Transparenz und den gläsernen Staat angetreten sind. Und nun sind sie ein Teil des Staates, diskutieren aber bereits darüber, daß sie eben nicht alles transparent machen wollen.
Dafür mag es gute Gründe geben und ich hab da ja auch Verständnis für. Beim netzpolitischen Bier Rostock berichte ich auch nicht über alle Einzelheiten, die dort besprochen wurden. Aber ich bin mit dem Thema Transparenz ja auch nicht zu einer Wahl angetreten. Im Übrigen heißt Transparenz ja auch nicht, daß man sofort immer alles live ins Netz streamen muss, was man macht. Die Aktionen und Entscheidungen müssen nur nachvollziehbar für jeden sein. Insofern ist es für mich erst einmal OK, wenn die Piraten das Wie und Was diskutieren und einen für sich geeigneten Weg finden.

Beim dritten Punkt "Frauenanteil in der Partei" ergießt sich derzeit besonders viel Häme über die Piraten. Die Taz berichtet zum Beispiel im Artikel "Problem mit zwei X-Chromosomen" von Svenja Bergt:

Die Piratenpartei und die Frauen, das ist ein Thema, bei dem die meisten Mitglieder das Gesicht verziehen. Weil die Frage nach dem Frauenanteil ständig kommt, aber niemand beispielsweise nach Menschen mit Migrationshintergrund fragt. Weil man lieber mit Inhalten statt mit Geschlechterfragen in Verbindung gebracht werden will. Und vielleicht auch, weil man keine Lösung anbieten kann.

Wie soll man das denn auch das Problem lösen? Soll man einen Aufnahmestopp für männliche Mitglieder verhängen oder nur noch "weibliche" Themen in der Partei diskutieren? Das wäre genauso diskriminierend wie die Frauen auszuschließen. Aber letztendlich kann man niemanden, ob Mann oder Frau, dazu zwingen, in eine Partei zu gehen oder sich auf die Landesliste setzen zu lassen, um sein passives Wahlrecht in Anspruch zu nehmen. Wenn die Piraten nun eine 1:1 Quote hätten, dann hätte die Partei derzeit nur 2 Abgeordnete im Roten Rathaus sitzen und 13 leere Sitze. Das kann es ja auch nicht sein und macht so gar keinen Sinn. Richtiggehend pervertiert wird der Feminismus oder Genderismus oder wie auch immer dann durch die Feministinnen in der Piratenpartei selber: 

Falls es jemanden gibt, der für die Innenwirkung zuständig ist, ist das am ehesten Julia Schramm. Schramm ist seit zwei Jahren dabei und organisiert Treffen von Mitgliedern, die sich als Piratin sehen. "Informelle Vereinigung der Piraten mit zwei X-Chromosomen" heißt das in der Piratensprache, und Schramm legt Wert darauf, dass nicht nur Mitglieder kommen, die man klassischerweise als Frauen erkennen würde.

"Bei uns sind viele Bi- und Homosexuelle, Asexuelle und Polyamore. Die haben ein ganz anderes Verhältnis zu Geschlecht und Gesellschaft", sagt Schramm. Daher hätten Geschlechterrollen von vornherein weniger Bedeutung bei den Piraten. Schramm macht das schon bei Kleinigkeiten des täglichen Umgangs fest: Reiße doch mal jemand einen sexistischen Witz, gebe es umgehend eine Entschuldigung, nach Freund oder Freundin zu fragen sei verpönt. "Diese Heteronormativität, die gibt es bei uns nicht", sagt Schramm.

Also wirklich! Für die Aufhebung der Geschlechtergrenzen zu sein, dann aber seine Veranstaltung "Informelle Vereinigung der Piraten mit zwei X-Chromosomen" zu nennen, ist so richtig daneben. Der Unterschied zwischen Mann und Frau sind nun einmal primär die Chromosomen. Der Titel der Veranstaltung bezieht sich explizit auf "echte" Frauen, aber gleichzeitig will man auch für die da sein, die sich nur als Frau fühlen, aber nunmal XY-Chromosomen haben? Verlogener und diskriminierender geht es ja kaum.

Nein, da ist mir die offizielle Sichtweise der Piratenpartei schon lieber, die davon spricht, daß man das Geschlecht gar nicht erst erfaßt und somit quasi postgender ist. Im übrigen wird der geringe Frauenanteil ja meistens damit begründet, daß die Piraten quasi ja eine Nerd-Partei seien, also suggeriert wird, es handele sich hauptsächlich um technische Themen, die Frauen nicht ansprechen. Ich kann mir nicht helfen, aber zum einen sind Bürgerrechtsthemen nicht ausschließlich für Männer, zum anderen ist es meine Erfahrung, daß selbst im typischen Nerd-Millieu der Informatik Frauen durchaus existieren und auch gut akzeptiert sind. In der Regel machen diese durchgeknallten Informatiker nämlich keinen Unterschied, ob das Gegenüber nun ein Mann oder eine Frau ist, sondern urteilen lieber nach den Ergebnissen, die dieses Gegenüber liefert. Das scheint auch Susanne Graf, die einzige weibliche Abgeordnete der Piraten in Berlin, so zu sehen, wie sie im Spiegel berichtet: 

SPIEGEL ONLINE: Frau Graf, Sie werden ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen. Es war Ihre erste Wahl – und gleich wurden Sie selbst gewählt. Wie wird man mit 19 erfolgreiche Piratin?

Graf: Ich engagierte mich als Schülerin im Chaos Computer Club. Dann tauchte das Thema Vorratdatenspeicherung auf. Ich wollte dazu eine Seminarfacharbeit schreiben und suchte einen Betreuer – bei den Piraten fand ich ihn. Obwohl ich erst 16 war, fühlte ich mich ernst genommen und das war ich nicht gewohnt. Bei Stammtischen und beim Parteitag stimmte man über meine Anträge ab.

Insofern kann ich diese Frauenquoten-Diskussion bei den Piraten nicht verstehen. Wenn Frauen die Politik der Piraten gefällt, so sind sie frei, dort mitzuwirken und sich auch wählen zu lassen. Je mehr Frauen dort mitwirken, umso mehr wird sich das vielleicht männlich geprägte Diskussionsverhalten ändern. Das geschieht aber nicht, indem man die Frauen fördert und die Männer unterdrückt, sondern muss sich von selbst ergeben und einpendeln. Schließlich sollten ja niemand ein Interesse daran haben, eine Diskriminierung durch eine andere zu ersetzen, oder?

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