ZENSURSULA 2.0 (Rocksong)

In der Zeit ist etwas geschehen, was vielleicht schon überfällig war: Familienministerin Ursula v.d. Leyen und Hauptpetentin Franziska Heine treffen in einem Interview direkt aufeinander.
Leider bemerkt man aber, daß beide ziemlich aneinander vorbeireden. Hauptsächlich wohl auch deshalb, weil v.d.Leyen, glitschig wie ein Aal, immer wieder ausweicht, aber auch weil Franziska Heine sie deswegen nicht so recht festnageln kann.

Während sich die Minsterin gleich bei der ersten Frage wieder in ihren nichtssagenden Phrasen und Worthülsen suhlt, geht Heine direkt auf das soeben von ihr Gesagte ein. V.d.Leyen geht hingegen gar nicht so recht auf Heines Gegenfrage ein, sondern lenkt mit ihrem Drogenbeispiel und den Mohnfeldern ab. Der Klassiker “das Netz darf kein rechtsfreier Raum sein” darf in abgewandelter Form dabei natürlich nicht fehlen.

Als nächstes bemüht die Ministerin einen Vergleich mit kinderpornografischen Büchern in einem Buchladen. Hier kontert Heine recht gut mit dem einfachen Blatt Papier, das man auf das Buch legt, als Analogie. Die Ministerin kontert wie üblich: verneinen und ablenken. In diesem Fall widerspricht sie dem Vergleich mit dem Blatt und geht umgehend zum Thema Löschen statt Sperren über. Danach dreht es sich in der Diskussion darum, wie einfach die Sperren umgangen werden können.
Dabei macht die Ministerin aber zwei bis drei Fehler, die Heine leider nicht aufgreift:

Heine: Ihr Gesetz lässt zu, dass jeder in den Laden gehen kann, das weiße Blatt zur Seite legt und sich dieses Buch ansieht. Dann kann er wieder aus dem Laden hinausgehen, und niemand wird ihn hinterher belangen. Das ist das Problem der Stoppseiten: Die Inhalte bleiben im Netz. Das ist mir einfach zu wenig.

von der Leyen: Wer die Stoppseite zu umgehen versucht, macht sich bewusst strafbar, weil er dann aktiv nach Kinderpornografie sucht. Sie vergessen einen zusätzlichen Punkt. Die Technik der Zugangssperren führt dazu, dass wir jetzt erstmals systematisch kinderpornografische Websites identifizieren. Das stärkt auch den Kampf um das Schließen der Quellen, den wir über Ländergrenzen hinweg mit Interpol und Europol führen. Natürlich wissen wir, dass schwer Pädokriminelle ihr Bildmaterial auch per Post bekommen.

Das ist aber kein Grund dafür, dass kinderpornografische Seiten im Internet offen zugänglich sein sollen. Das Sperren von Seiten ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen ein brutales Massengeschäft. Kinderpornografie ist einer der bestorganisierten kriminellen Märkte. Und Deutschland ist eines der lukrativsten Länder für diesen Markt, denn wir sind reich, wir haben Zeit, wir sind viele.

Erster Fehler: Wer die Sperre umgeht, muss nicht unbedingt nach Kipo suchen, sondern kann einfach einen anderen Nameserver eingerichtet haben. Zudem, wenn er dennoch bewußt nach Kipo sucht, was in der Tat strafbar ist, bekommt die Polizei in der Regel nichts davon mit. Es sei denn, sie beobachtet den Server eh schon und loggt IP-Adressen mit. Warum aber ist der Server dann noch am Netz?
Zweiter Fehler: Die Ministerin gibt faktisch zu, daß die Polizeiarbeit über Ländergrenzen hinweg nicht vernünftig funktioniert und daß die entsprechenden Kipo-Nutzer eigentlich auch andere Vertriebswege benutzen.
Dritter Fehler: In der Regel sind einschlägige Seiten eben nicht öffentlich zugänglich. Die Betreiber wissen um die Strafbarkeit ihres Tuns und Handelns. Deshalb werden sie bemühen, das Material eben nicht offen rumliegen zu lassen. Und wenn Deutschland einer der lukrativsten Märkte hierfür ist, wieso geht die Ministerin dann nicht dagegen vor? Hätte sie es in der Vergangenheit getan, dürfte dieser Markt in Deutschland ja nicht mehr so attraktiv sein. Zumal: wenn sie damit sagt, daß es viele Server in Deutschland mit solchem Material gäbe, wieso werden sie dann nicht beschlagnahmt, wo sie doch an anderer Stelle behauptet, daß das in Deutschland ohne Probleme möglich sei? Hier widerspricht sich die Ministerin (mal wieder) selbst.

Heine versucht daraufhin dann nach den Quellen zu fragen, die diesen Massenmarkt belegen. V.d.Leyen verweist (mal wieder) auf ominöse Zahlen aus dem Ausland und geht dann zum Frontalangriff über, in dem sie Heine das Leugnen eines Massenmarktes vorwirft. Heine geht darauf glücklicherweise nicht ein, sondern bohrt stattdessen nach, woher die Ministerin die Zahlen hätte, wo doch die Kriminalstatistik ein Schrumpfen der Kipo-Fälle nachweist. Schade ist hier, daß Heine nicht auf das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags auf eine kleine Anfrage der FDP hinweist, das besagt, daß die Ministerin bzw. die Bundesregierung eigentlich überhaupt keine belastbaren Zahlen vorweisen kann.

So ähnlich geht es dann weiter. Eine interessante Stelle ist auch folgende:

von der Leyen: Herr Schaar hat sehr deutlich gesagt, seiner Meinung nach würde die Kommunikationsfreiheit durch die Art von Sperren, die das Gesetz vorgibt, nicht gestört. Im Übrigen kann über das den gesperrten Seiten vorgeschaltete Stoppschild ein Beschwerdemechanismus ausgelöst werden bis hin zu Rechtsschutz im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht. Wenn Sie Transparenz fordern, ob harmlose Seiten vermeintlich zu Unrecht gesperrt sind: Das erledigen im Internet 40 Millionen Kontrolleure.

Heine:
Wollen Sie die Bürger aufrufen, sich pädophilen Inhalten aussetzen zu müssen, um die Kontrolle demokratischer Rechte wahrzunehmen? Sie haben doch oft genug öffentlich gesagt, dass derjenige, der so etwas sieht, süchtig danach werden kann.

von der Leyen:
Nein, Bürger, die meinen, eine Seite sei unzulässig gesperrt, können sich sofort beschweren über einen Link auf der Stopp-Seite. Zum Suchtpotential: Natürlich wird man nicht als Pädophiler geboren. Experten sagen, dass es bei manchen eine gewisse Neigung dazu gibt, die zur Sucht werden kann. […]

Hier kann man wieder schön das Muster von “Verneinen und ablenken” sehen. Die Ministerin verweist auf das Stoppschild und falls eine Seite unberechtigt gesperrt sein sollte, kann man ja zum einen den Rechtsweg beschreiten und zum anderen sich über einen Link über eine unberechtigte Sperrung (vermutlich beim BKA!!) beschweren. Anstatt aber auf die Unwahrscheinlichkeit hinzuweisen, daß sich Bürger bei einem Stoppschild beschweren und damit doch eine Art von Zensur aktiv wird (Chilling Effekt), gibt Heine der Ministerin eine Steilvorlage, die diese dankend aufnimmt, nachdem sie auf eben diese Möglichkeit der Beschwerde hingewiesen hat und zum nächsten Thema des “Anfixens” überleitet.

Bei der folgenden Argumentationskette, kann man die Argumente der Ministerin allerdings nun wirklich nicht nachvollziehen. Hier kann Heine in der Tat einen Punktsieg davontragen:

ZEIT ONLINE: Frau Heine, würde eine erhöhte Transparenz des Sperrmechanismus Ihre Zweifel zerstreuen?

Heine: Der Sperrmechanismus selbst ist das Problem. Wenn die Liste der gesperrten Seiten publiziert würde, wäre für jeden nachvollziehbar, was passiert. Man könnte nachvollziehen, wie schnell falsche Seiten von der Liste wieder entfernt werden. Man könnte nachprüfen, wie schnell die Seiten, die wegen ihres Inhalts berechtigterweise gefiltert werden, vom BKA oder von anderen Strafverfolgungsbehörden aus dem Netz entfernt werden.

von der Leyen: Öffentliche Sperrlisten würden die Suche nach kinderpornografischem Material vereinfachen. Und, wenn Sie die Veröffentlichung der Listen verlangen, wollen Sie Öffentlichkeit in laufenden Ermittlungsverfahren herstellen – was nicht geht, weil damit das Ermittlungsverfahren unmittelbar zum Erliegen kommt.

Heine: Das ist dann eh tot! Wenn die Kinderpornoseite, die ich unterhalte, ein Stoppschild bekommt, weiß ich, dass man mir auf den Fersen ist. Mit dem Stoppschild warnen Sie die Betreiber der Seiten. Das ist Täterschutz!

von der Leyen: Im Gegenteil. Durch die systematische Suche, durch den internationalen Austausch und die Erstellung einer Datenbank, die die Inhalte der Seiten analysiert und vergleicht, ist die polizeiliche Arbeit der Täterverfolgung viel effizienter und systematischer.

Nochmal zum Mitschreiben: Heine zweifelt aufgrund der potentiellen Mißbrauchsgefahr einer solchen Infrastruktur die Methodik generell als solche an. Die Veröffentlichung der Sperrlisten würde zwar wenigstens die Transparenz bringen, aber die Ministerin ist der Meinung, daß dann die Betreiber der Seiten gewarnt seien und ein Ermittlungsverfahren unmöglich wäre. Heine weist dann sehr richtig darauf hin, daß dies auch mit dem Stoppschild so der Fall wäre und daß auf diesem Weg die Täter gewarnt würden, die Stoppseiten als Täterschutz seien. V.d.Leyen verneint das (mal wieder) und spricht nur noch von einer Datenbank, die die Täterverfolgung effizienter machen würde (verneinen und ablenken mal wieder).
Warum muss dann aber ein Stoppschild eingeführt werden, daß die armen User “schützt”, wenn die Polizei eh eine interne Datenbank hat, die sie zur Ermittlung der Täter benutzt? Als Kipo-Betreiber würde ich doch dann einfach immer brav die T-Online Nameserver abfragen, ob die noch auf meine konfigurierte IP verweisen oder auf eine andere. Wenn sie auf eine andere verweist, weiß ich dann doch, daß sie auf der Sperrliste gelandet ist und mach mich aus dem Staub mit meinem Content.

Die Unfähigkeit der Ministerin, die Funktionsweise des Internets zu verstehen, scheint auch Heine erkannt zu haben, da sie nun auf die mangelnde Ausstattung der Ermittlungsbehörden verweist. Die Ministerin schmettert das damit ab, indem sie nur auf die letzte Anmerkung eingeht, daß die Polizei einfach nur hinterher hinken würde. Dann könne man die Strafverfolgung ja gleich ganz einstellen. Auf die berechtigte Kritik, daß die Beamten nicht entsprechend ausgestatt sind und die Arbeitsweise einfach den Content zu lange im Netz verweilen läßt, geht sie hingegen gar nicht ein. Wenn man nicht weiter weiß und keine Argumente hat, lenkt man halt vom Thema ab.

Der Rest der Diskussion dreht sich dann um die von Franziska Heine eingerichtet ePetition und schließt mit der Ankündigung zur Verfassungsklage.

Insgesamt also ein ziemlich aufschlußreiches Interview. Franziska Heine hat sich zwar redlich bemüht, ist aber (meiner Meinung nach) der aal-glitschigen Ministerin nicht habhaft geworden. Im Grunde ist es das gleiche Problem wie bei Dirk Hillbrechts Auftritt bei Phönix: die Gegner sind rhetorisch zwar überlegen, liefern aber soviele Angriffspunkte, daß man gar nicht weiß, wo man zuerst ansetzen soll und vertüddelt sich dann in halbwegs harmlosen Punkten, ohne aber den Gegner wirklich festnageln zu können, weil die Diskussion dann schon weiter fortschreitet und man nicht mehr dazu kommt, die anderen Kritikpunkte am Gegenüber loszuwerden.
Da hätte ich mir nun an mancher Stelle zielgerichteres Vorgehen gewünscht, etwa das Festnageln der Ministerin auf ihre nachgewiesen dürftige Basis (Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes auf die kleinen Anfragen bzgl. Datengrundlage und internationale Zusammenarbeit des BKAs).

Zum Schluß noch ein schönes, ein wichtiges Zitat:

Heine: Was ist denn passiert? Da wird ein Gesetz kurz vor Ende der Legislaturperiode durchgepeitscht, ohne dass man auf die Gegenargumente eingeht. Das ist keine Auseinandersetzung. 134.000 Menschen wird signalisiert: Es ist uns egal, was ihr denkt. Aber diese Menschen werden nicht aufhören. Das Netz ist unglaublich politisch. Wir waren in den Ausschüssen, wir waren bei Parteitagen, wir haben mit Politikern geredet. Die Unterzeichner der Petition haben gesehen, wie Entscheidungen in der Politik getroffen werden – und das wird sie nachhaltig prägen.

Wie sehr Franziska Heine mit dieser Prägung Recht hat, zeichnet sich langsam ab… hoffen wir, daß es nachhaltig sein wird!

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3 thoughts on “ZENSURSULA 2.0 (Rocksong)

  1. Löschen statt sperren
    Ich komme gerade von der Demo “Löschen statt sperren” in München zurück. Worum geht's da eigentlich? Nun, am 18.06.2009 wurde durch das neue “Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen”, richtigerweise eigent

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