SPON: “Die Generation C64 schlägt zurück”

Eigentlich hatte ich in der Überschrift erst die spekulative Frage stehen, ob unser Bundesinnenminister Schäuble die Erosion des Rechtsstaates vorantreiben möchte, aber damit würde ich ihm zweifelslos Unrecht tun. Denn bereits sein Vorgänger im Amt, Otto Schily machte mit “seinen Otto-Katalogen” den Weg frei. Außerdem darf man sich ziemlich sicher sein, daß all dieser Unfug nicht allein immer auf das Konto der Bundesinnenminister geht, sondern im Hintergrund fleißig Lobbyisten am Werke sind, die ein Interesse an einem Abbau des Rechtsstaates haben.

So hat auch der derzeitige Bundesinnenminister Schäuble offensichtlich einen Ideengeber, wie tknuewer im Blog des Handelsblatts schreibt:

Schon seit längerem ist bekannt, dass Schäubles Gedankengut mitgeprägt wird durch Otto Depenheuer, Juraprofessor zu Köln. Dessen Werk “Selbstbehauptung des Rechtsstaats” hat Schäuble 2007 im Interview mit der “Zeit” den Kollegen dort zur Lektüre empfohlen. Und wer würde sich der Empfehlung eines Innenministers verschließen?

Dieses Buch scheint wohl sehr eigenartige Ansichten zu vertreten. So kann man wohl behaupten, daß nicht nur der Rezensent der Zeit, Gunter Hofmann, wenig Gutes an diesem “Werk” läßt, nein, laut tknuewer lassen auch der Tagesspiegel und die NZZ (“Ein skandalierendes Buch” kein Gutes Haar an diesem Buch. Die Zeit und die NZZ nehmen sogar bezug auf Carl Schmitt:

Wenn der Rechtsstaat selbst auf dem Spiel steht, gibt es keine »Grenzen«, lautet die Kurzfassung der Antwort Depenheuers auf die Frage, die Schäuble nicht stellt. Damit landet er aber prompt bei Carl Schmitt, dem autoritären Juristen, der die Weimarer Republik mit hinüberargumentierte ins »Dritte Reich«. (Quelle: http://www.zeit.de/2007/33/Schaeubles_Nachtlektuere)

Mit diesem Hintergrund lesen sich dann auch die folgenden Absätze beim Handelsblatt “interessant”. Denn jetzt, wo es scheint, daß die Internetsperren gegen Kinderpornografie, die unsere Familienministerin ja soooo gerne durchsetzen möchte, doch etliche Bedenken auslösen, kann der Stab um und hinter Schäuble natürlich nicht nachgeben und legt noch eins drauf. Worüber Heise noch recht kurz berichtet, wird das Handelsblatt schon ein bißchen deutlicher:

Nun folgt die nächste Eskalationsstufe. Und man darf nun auch davon sprechen. Denn es fällt schwer, an einen Zufall zu glauben, wenn die wütenden Reaktionen gegen die Internet-Sperre so eng zusammenfallen mit dem Programm Innere Sicherheit, dass Schäuble heute im bei der Innenministerkonferenz vorstellen wird, wie unser Kollege Peter Müller vorab erfuhr.

Nach den Kinderpornos müssen nun Terroristen herhalten. Und die Jugendlichen. Und gemeuchelte Greise. Oder wie es in einer Vorabmeldung der Nachrichtenagentur AFP heißt:

“Die Jugendgewalt ist nach Einschätzung der Innenbehörden neben dem Terrorismus und der Internet-Kriminalität eines der zentralen Sicherheitsprobleme in Deutschland…

Vielmehr sei zu befürchten, dass ältere Menschen zunehmend Opfer von Gewalt würden. Der Anteil nichtdeutscher Jugendlicher und Heranwachsender an den Gewalttätern sei hoch.”

Und was braucht es zur Bekämpfung? Peter Müller zitiert das Programm:
“Insbesondere die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik erfordert entsprechende gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen…

Notwendig sind Befugnisse für verdeckte Eingriffe in informationstechnische Systeme, die Anpassung der Möglichkeiten der Telekommunikationsüberwachung und Maßnahmen nach G 10 im Rahmen der vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Grenzen.”

G 10 wird das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post – und Fernmeldegeheimnisses abgekürzt.

Lassen wir es uns auf der Zunge zergehen: Da soll die Telekommunikation verdeckt überwacht werden wegen Terrorismusgefahr. Oder auch wegen simplen Verbrechern. Alles eins, geht es nach Wolfgang Schäuble. Denn es heißt auch, schön simpel erklärt für die politische Generation Web 0.0:

“Angriffe auf die Integrität und Sicherheit von Datensystemen bergen in unserer modernen Informationsgesellschaft ein hohes Gefahrenpotenzial. Kriminelle können mit einem Mausklick Tausende schädigen.”

Das muss man sich nochmal in Ruhe durchlesen: nach den (gefloppten) Internetsperren werden nun Jugendgewalt, Internet-Kriminalität und Terrorismus in einen Topf geworfen. Und Ausländer noch dazu. Gut umrühren und schon kommt ein neuer Katalog mit neuen Forderungen heraus, wonach das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis eingeschränkt, besser wohl: aufgehoben werden soll.
Da wer genau liest, fühlt sich durchaus an die Zeiten erinnert, als Carl Schmitt aktiv war. Denn die Wortwahl eines Satzes, den übrigens auch Heise in ihrem Artikel stehen hat, läßt aufhorchen. Falls jemand diesen Satz überlesen hat, hier ist er nochmal alleinstehend:

“Insbesondere die Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik erfordert entsprechende gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen…

Gesetz? Ermächtigung? Da bimmelt was bei mir… ganz laut. Sowas gab es schonmal, auch wenn die Wortwahl etwas anders war. Aber es gibt ja das böse, rechtlose Internet und so wird man bei Wikipedia.de fündig:

Mit einem Ermächtigungsgesetz übertrug in der Weimarer Republik der Deutsche Reichstag zeitweise der Reichsregierung die befristete Befugnis zur Gesetzgebung. In der Frühzeit der Republik kam es zu drei derartigen Gesetzen, die eigentlich der Verfassung widersprachen. Sie wurden verfassungsrechtlich toleriert, da sie mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wurden, die auch zur Verfassungsänderung ausgereicht hätte.

Der Artikel bei Wikipedia hat noch mehr zu diesem Thema zu sagen. Einmal dort vorbeisurfen lohnt sich. Aber zugegeben: Die Innenministerkonferenz will sicherlich nur unser Bestes und uns vor den oben genannten Gefahren schützen. Jetzt, wo doch die Terrorgefahr so kurz vor den Wahlen steigt!
Um es zu betonen: Ich will hier niemandem etwas unterstellen, aber ich finde es bedenklich, wenn Vokabeln von Politikern benutzt werden, die mir unweigerlich einen Schrecken ins Mark jagen.

Aber ähnlich die tknuewer in seinem Blog beim Handeslblatt sehe auch ich keine großartige Terrorgefahr:

Das Dumme ist nur: Terrorkampf allein wird nicht reichen, um die von Schäuble gewünschten Überwachungsmethoden zu erreichen. Denn – und das darf nie vergessen werden – es gibt keine steigende Zahl von Terroranschlägen in Deutschland: Es gibt gar keine Terroranschläge in Deutschland. Der letzte, durch eine ausländische Institution beeinflusste Terroranschlag dürfte der auf die Diskothek La Belle in Berlin gewesen sein – vor 23 Jahren.

Warum also ständig das Schüren von Ängsten aus den Reihen der Politik und der Sicherheitsorgane? Man muss sicherlich kein Wirtschafts- oder Sicherheitsexperte sein, um zu erkennen, daß es beim Thema “Sicherheit” nicht eben nur um die Sicherheit der Bürger geht, sondern daß dahinter handfeste wirtschaftliche Interessen stehen. Ein Millardengeschäft. Und je mehr Angst man dem deutschen Michel einreden kann, umso besser für’s Geschäft! Doch dummerweise gibt es das Internet. Tknuewer beschreibt es sehr zutreffen:

All das ist krude und hätte vor 10 Jahren doch noch funktioniert. Denn die meisten Menschen sind eben nur flüchtige Nachrichtenkonsumenten. Serviert man ihnen all diese Szenarien häppchenweise, verteilt über Wochen, dann wären sie einst der politischen Line gefolgt.

Heute sieht das anders aus – und da kommt das Internet ins Spiel. Heute schnappen sich wenige, politisch hoch interessierte Bürger all die Aussagen und paaren sie mit Hintergrundinformationen, setzen sie in zeitliche Zusammenhänge, kommentieren all das und schließlich vernetzen sie sich. Und dabei nehmen sie mehr Menschen mit, als ein Wolfgang Schäuble oder eine Ursula von der Leyen sich das vorstellen.

So wird die neue Eskalationsstufe jene Entwicklung, die Christan Stöcker in seinem Generation-C64-Artikel beschreibt beschleunigen. Es entsteht eine gewaltige Kluft zwischen den Herschenden und den Sich-Beherrscht-Fühlenden. Das kann und wird auf Dauer nicht gut gehen. Macht die Regierung auf ihrem Kurs weiter, wird etwas passieren. Ob es der völlige Zusammenbruch der Wahlbeteiligung ist, die Gründung einer oder mehrer neuer Parteien, eine Bewegung außerhalb des Parlaments – ich weiß es nicht. Doch das es so bleibt, wie es heute ist, kann ich nicht glauben. Es sei denn, die Volksvertreter begreifen endlich, dass sie das Volk vertreten sollen – und nicht bekämpfen.

Leider kann ich tknuewer in seinem Schlußwort nicht so ganz zustimmen: ich glaube nicht, daß die derzeitige Generation von Politikern sich ändert und wieder *für* die Bürger Entscheidungen trifft. Vielmehr hat sich die höhere Politik meiner Meinung nach schon zu weit vom realen Leben entfernt und richtet sich zu sehr auf die wirtschaftlichen Interessen von Verbänden und Industrie aus. Aber, und da stimme ich wieder mit dem Autor überein, sehe ich ein großes Potential im Internet und in der aktuellen Bewegung, daß sich doch noch etwas ändern könnte. Aber nur, wenn auch die jüngeren Berufspolitiker (MdB, MdL, …) entsprechend Einfluß auf ihre älteren Kollegen nehmen und diese digitalen Immigranten eher die Chancen begreifen, die das Internet bietet, als immer nur willkürliche Gefahren herauszubeschwören.

Doch auch hier gilt wieder: es liegt auch an uns selber, was daraus wird. Nächsten Sonntag ist Wahl zum Europaparlament und teilweise auch noch Kommunalwahl. Wer also möchte, daß sich etwas ändert, der kann bereits Sonntag dazu beitragen. Und außerdem auch noch weiter für die ePetition Mitzeichner werben!

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