Rechtsprechung ignorierende Polizei und Politiker

Nachdem ich mich vorhin über das Kennzeichen-Scanning in MV ausgelassen habe, hatte ich auch mal prompt eine Mail an den für mich zuständigen Innenminister Caffier bzw. an die Pressesprecherin M. Schlender geschrieben und um Stellungnahme gebeten.

Die Stellungnahme kam dann auch prompt als Word-Dokument. Da ich in meiner Mail explizit um eine Stellungnahme zwecks Veröffentlichung gebeten habe und die mir zugeschickte als “Pressemitteilung” betitelt ist, gibt es sie hier in Gänze zu sehen (Text only):

ADAC-Gutachten zum Scanning von Pkw-Kennzeichen

Regelungen in MV berücksichtigen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes

Nach einem heute vom ADAC vorgestellten, im Innenministerium M-V noch nicht bekannten Gutachten zum Videoscanning von KfZ-Kennzeichen sollen auch die Vorschriften nach dem Sicherheits- und Ordnungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern (SOG M-V) gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. März 2008 verstoßen. Dieses hatte sich ausschließlich mit den Regelungen von Hessen und Schleswig-Holstein befasst, die den Einsatz des Automatischen Kennzeichenlesegerät (AKLS) anlassunabhängig zuließen: das Gericht sah keinen Spielraum für eine verfassungskonforme Auslegung und hatte die Regelungen in der Folge für verfassungswidrig erklärt.

Zu der heutigen Pressemitteilung des ADAC stellt das Innenministerium folgendes fest:

Die vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Landesregelungen sind mit der Regelung des § 43a SOG M-V nicht vergleichbar. Zum einen dürfen Maßnahmen nach § 43a SOG M-V immer nur bei bestimmten Anlässen durchgeführt werde, also nicht ohne Anlass. Eine Ausnahme bildet der Einsatz im Grenzgebiet. Nach Auswertung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes ist eine solche Regelung in begrenzten Situationen oder unter konkreten Umständen (z.B. das Fahren auf Straßen nahe der Bundesgrenze) möglich.

Das Automatische Kennzeichenlesegerät (AKLS) wurde in M-V bisher bei der Bewältigung des Polizeieinsatzes während des Weltwirtschaftsgipfels G8 genutzt. Zur Zeit läuft seit Dezember 2008 in der Polizeidirektion Anklam im Grenzgebiet zu Polen erstmalig ein Pilotversuch. Dabei wird das AKLS offen und zum sofortigen Datenabgleich eingesetzt. Um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes gerecht zu werden, das den in den Polizeigesetzen enthaltenen weiten Begriffs des Fahndungsbestandes (unter den viele Datenbestände gefasst werden können) kritisierte, wurde in dem Pilotversuch durch eine Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums M-V der Begriff des Fahndungsbestandes entsprechend eingeschränkt und verfassungskonform definiert. Eine Evaluierung des Pilotprojektes steht noch aus. Da die Regelungen des § 43a SOG M-V auf fünf Jahre befristet sind (Geltungsdauer bis 2011) und der Gesetzgeber ohnehin über die Fortgeltung dieser Vorschrift neu entscheiden muss, werden die Ergebnisse des Evaluierung in die Bewertung einfließen.

Stutzig wird man ja schon im ersten Absatz, der sich so liest als ob nach dem das BVerfG nur das Scannen in Hessen und Schleswig-Holstein verfassungswidrig sei, Mecklenburg-Vorpommern (MV) aber ja irgendwie so rein gar nichts damit zu tun habe. Weiter geht es dann mit der Schilderung der Situation in MV und der Beschreibung des Pilotversuchs im Grenzgebiet zu Polen.
Früher gab es ja das Zollgrenzgebiet. Das war schön ausgeschildert und man wußte, daß in diesem Bereich erweiterte Befugnissen für Zoll und Polizei galten. Da Polen aber sowohl zur EU als auch seit dem 21. Dezember 2007 zum Schengen-Raum gehört, stellt sich für mich zumindest die Frage, ob die Grenze zu Polen noch in dem Sinne eine Grenze ist, die eine Ausnahme rechtfertigt bzw. besonders schützenswert ist? Aber sicherlich kann das Innenministerium hierzu auch noch eine Rechtsvorschrift oder Gesetz zitieren. Zumindest denke ich aber, daß man durchaus juristisch argumentieren könnte, daß die erwähnte Ausnahme eher im Sinne eines besonders schützenwerten Außengrenze gedacht ist, aber da Deutschland nach dem Beitritt Polens über keine Außengrenzen verfügt, außer zu anderen Schengen-Staaten, dieser Passus auch nicht auf die Grenze zu Polen angewendet werden kann. Insofern wäre dann der Pilotversuch auch als verfassungswidrig zu erachten.
Aber wie immer gilt hier: IANAL. Trotzdem fände ich eine juristische Beurteilung dieses Themas interessant.

Bemerkenswert ist auch die Schlußanmerkung:
Zum einen wird eine Einschränkung des Begriffes “Fahndungsbestands” per Verwaltungsvorschrift erwähnt, aber nicht, inwieweit der Begriff eingeschränkt wurde bzw. welche Straftaten (schwerwiegende Fahndungsfälle) noch zum Einsatz des Kennzeichen-Scannings berechtigen. Auch wird keine nachprüfbare Quelle für diese Verwaltungsvorschrift genannt, so daß diese nicht nach- bzw. überprüfbar ist. Insofern steht hier dann natürlich jedweder Änderung Tür und Tor offen. Grad so wie man’s braucht.
Zum anderen scheint das Kennzeichen-Scanning in MV zeitlich auf 5 Jahre, bis 2011, begrenzt zu sein. Wenn schon die Einführung des Scannings mit dem G8-Gipfel begründet wird, dann frage ich mich, wieso das Verfahren 5 Jahre bestehen bleibt, obwohl der Gipfel nur ein paar Tage ging? Wurden da etwa für den Gipfel ein paar Geräte gekauft, die nun erstmal abgeschrieben werden müssen? Solange kann man sie ja benutzen, um Kriminelle zu jagen, die ihre Haftpflichtversicherung nicht bezahlt haben… denn das ist wohl der überwiegende Einsatzzweck von Kennzeichen-Scannern.

Randnotiz:
Bemerkenswert ist zum einen, daß Mails an das Innenministerium durchaus schnell beantwortet werden, was ein dickes Lob verdient! Zum anderen sind die Menschen dort mindestens genauso neugierig wie ich und googlen durchaus mal nach Personen und gehen dann auf deren Webseiten. In meinem Fall auf mein Blog. Vielleicht gewinne ich ja noch ein paar neue Leser im Innenministerium? Würde mich freuen! 🙂
Und zu guter Letzt: man sollte Stellungnahmen nicht unbedingt als Word-Dokument verschicken. Zum einen kann man ja durchaus mal vergessen, Änderungen bzw. deren Verlauf oder andere Peinlichkeiten zu löschen. Für den Versand solcher Dokumente ist sicherlich PDF das Mittel der Wahl. Mal so als freundlicher Tip! 🙂

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