Nichts gelernt?

Seit Wochen kommen nahezu täglich neue Enthüllung in Sachen Überwachung durch Geheimdienste heraus, die das gesamte Ausmaß immer weiter verdeutlichen. Was fehlt, ist eine breite, öffentliche Empörung über die Überwachung. Ich meine nicht, eine “Das finde ich aber nicht gut!”-Empörung, sondern eine “Das muss sofort aufhören!”-Empörung und zwar nicht im Wohnzimmer, sondern auf der Straße!

Jakob Augstein schreibt in seiner Spiegel-Kolumne S.P.O.N. – Im Zweifel links: Wir Untertanen“:

 Wann ist Kontrolle totale Kontrolle? Wenn man sich ihr freiwillig unterwirft – und sie dann nicht einmal mehr spürt. In Deutschland sind die USA diesem Ziel schon sehr nahe gekommen. Das zeigt der Umgang weiter Teile der deutschen Öffentlichkeit mit dem Überwachungsskandal. Und das zeigt auch die Reaktion der deutschen Regierung. Herunterspielen und verharmlosen: Unsere verantwortlichen Politiker zucken mit den Achseln und geben dabei mit ihrer eigenen Souveränität unsere Rechte ab. Ihre medialen Büchsenspanner applaudieren. Wenn die Deutschen sich das gefallen lassen, haben sie aus zwei Diktaturen nichts gelernt.

Ist der Vergleich mit der Gestapo bei den Nazis und der Stasi in der DDR gerechtfertigt oder bloß Panikmacherei? Verhöhnt der Vergleich die Opfer beider Diktaturen?

Ich finde nein. Der Vergleich ist gerechtfertigt und zeigt teilweise auch, daß Datensammelei im Jetzt zu weiteren Menschenrechtsverstößen in der Zukunft führen kann. Derzeit ist ein beliebtes Beispiel im Netz, daß in den Niederlanden damals die Religionszugehörigkeit zentral erfaßt wurde. Da hat sich wohl niemand was bei gedacht, als diese Erfassung eingeführt wurde. Das Problem kam erst später, als die Nazis die Niederlande überfallen und besetzt hatten. Und als sie anfingen, die niederländischen Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager zu deportieren, denn sie konnten auf die Datensammlung zur Religionsfreiheit zugreifen.

Auch in Sachen Stasi und DDR kursiert derzeit ein Vergleich im Netz. Bundespräsident Gauck zeigte nämlich einmal mehr, daß sein Begriff von Freiheit wohl ein recht überschaubarer ist, als er im ZDF Sommerinterview folgendes sagte: 

Wir wissen zum Beispiel, dass es nicht so ist wie bei der Stasi und dem KGB, dass es dicke Aktenbände gibt, in denen unsere Gesprächsinhalte alle aufgeschrieben und schön abgeheftet sind. Das ist es nicht.

Um zu zeigen, daß die Überwachung durch die NSA allein durch PRISM weitaus schlimmer ist als alles, was die Stasi an Daten gesammelt hat, hat OpenDataCity aus Berlin mal eine Visualisierung gemacht: 


Gehe zu Stasi versus NSA. Realisiert von OpenDataCity (CC-BY 3.0)

Die angefallenen Daten sind nämlich sehr viel umfassender als die der Stasi. Allerdings ist die Datensammelei der NSA weniger intrusiv in dem Sinne, daß es im Hintergrund passiert und man nicht durch zwei Männer im Trenchcoat und Wartburg überwacht wird. Auch braucht die NSA niemanden als IM anwerben. Sie schnorchelt einfach alle Daten ab, derer sie habhaft werden kann – und das sind viele. Wenn man dann noch die Totalüberwachung durch den britischen Geheimdienst GCHQ und Tempora hinzunimmt, die nicht nur die Metadaten wie bei unserer Vorratsdatenspeicherung speichert, sondern auch noch die Inhaltsdaten, dann sieht die Datensammelei der Stasi damals wie ein Kindergeburtstag aus.

Gegen den Unrechtsstaat der DDR und unter anderem der Überwachung durch die Stasi sind damals aber Hunderttausende auf die Straße gegangen. Wo sind nun all diese Menschen? Freiheit ist nicht nur die Freiheit zu reisen oder ein volles Regal im Supermarkt zu finden, sondern Freiheit ist sehr viel umfassender. Es ist gerade die Freiheit des Einzelnen, vom Staat ohne Überwachung in Ruhe gelassen zu werden, die alles andere ermöglicht. Wenn ein Staat alles von mir wissen möchte, dann bin ich nicht frei. Ich bin nicht frei zu reisen, ich bin nicht frei, das im Supermarkt zu kaufen, was ich möchte. Stattdessen verhalte ich mich angepaßt.

Wenn wir gegen die vorbehaltlose Speicherung unserer IP-Adressen sind, dann ist das ein Akt der Freiheit. Dieser Tage sah ich im Netz den Vergleich einer IP-Adresse zum Nummernschild an Autos. Nichts anderes als ein Nummernschild wäre auch eine IP-Adresse. Aber wer würde sich das bieten lassen, wenn der Staat unsere Fahrten mit dem Auto über mindestens 6 Monate speichern lassen würde? Würden wir es uns gefallen lassen, bei jeder Fahrt oder an jedem Fahrtziel unser Nummernschild dem Staat zu melden? “Das Auto mit dem Kennzeichen X-YZ 123 fuhr am 9. Juli um 8 Uhr von A nach B, danach um 13 Uhr von B nach C.”

Würden wir das mit uns machen lassen? Sicherlich nicht. Aber bei der Speicherung von IP-Adressen und der Vorratsdatenspeicherung im Internet sollen wir uns das bieten lassen? Warum?

Heute verhandelt der EuGH die Klagen gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Hoffen wir, daß die Richtlinie gekippt wird. Aber wir müssen auch den Druck auf die Straße bringen. Zum Beispiel bei der Demo “Freiheit statt Angst” am 7. September in Berlin am Potsdamer Platz um 13 Uhr! Aber auch vorher wird es immer wieder Demos geben. Geht hin und macht den Politikern Druck, endlich echte Maßnahmen zu ergreifen, um unsere Privatsphäre, unsere Freiheit und unsere Grund- und Menschenrechte wirksam zu schützen!

Uncategorized

1 thought on “Nichts gelernt?

  1. Ich bin dafür, dass jeder an
    Ich bin dafür, dass jeder an den Demos teilnehmen soll, der kann, will, Geld und Zeit dafür hat. Aber über eines sollte man sich im klaren sein: Die Anstrengungen der Geheimdienste (auch der einheimischen) die Bevölkerung zu überwachen haben ihren Ursprung bei genau den Politikern, von denen jetzt Maßnahmen gegen genau diese Überwachung gefordert werden. Das ist doch ein Witz, oder? Unter solchen Umständen halte ich so eine Demo ungefähr für so wirkungsvoll wie ein Besuch im Schwimmbad. Es macht Spaß hinzugehen. Man geht mit gutem Gefühl nach Hause. Und das wars dann auch schon.

    Das einzige was das zur Folge haben wird haben wir schon des öfteren erlebt. Der CIA ist in NSA umbenannt worden. Der KGB hat auch einen neuen Namen bekommen. Vorratsdatenspeicherung heißt jetzt Mindestspeicherfrist oder so ähnlich und ACTA hat auch schon einen neuen Namen bekommen. Immerhin – wenn ich dauernd neue Namen lernen muß ist das ja gut fürs Gedächtnis und ein bißchen Gehirnjogging schadet ja schließlich nicht. Außerdem ist so eine Demo bei so schönem Wetter ja auch ganz nett.

    Eine Sinnvolle Forderung wäre Transparenz der Geheimdienste. Eine Veröffentlichungspflicht für geheimdienstliche Operationen spätestens Ein Jahr nach in Kraft treten derselben. Gerichtliche Kontrolle der Geheimdienste, um sicherzustellen, dass sich besagte Dienste an die bei uns geltende Gesetze halten. Und natürlich dürfen diese Verfahren nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden. Aber das wäre ja radikal. Das wird ja sicher keiner fordern. Das wäre ja revolutionär.

Comments are closed.