EDRi-gram: Coalition of the Kindernet

Gestern kam das aktuelle EDRi-gram heraus. EDRi-was? EDRi-gram. Das ist sozusagen das News-Telegramm von der europäischen Bürgerrechtsorganisation EDRi (Wikipedia). Darin wird unter anderem, neben vielen anderen wichtigen und interessanten Themen, auch die “Coalition to make the Internet a better place for kids” behandelt. Darin geht es, wie soll es auch anders sein, wenn sich eine Koalition des Themas Internet und Kinder annimmt, um die Möglichkeiten, Internetsperren und -zensur einzuführen. Erst einmal ist natürlich interessant, wer überhaupt so alles in dieser ominösen Koalition ist und was die so vorhaben: 

Following an invitation by Commissioner Kroes in the summer of 2011, and founded on 1 December 2011, the CEO “Coalition to make the Internet a better place for kids” covers the whole industry value-chain. Its 30 members include Apple, BSkyB, BT, Dailymotion, Deutsche Telekom, Facebook, France Telecom – Orange, Google, Hyves, KPN, Liberty Global, LG Electronics, Mediaset, Microsoft, Netlog, Nintendo, Nokia, Opera Software, Research In Motion, RTL Group, Samsung, Skyrock, Stardoll, Sulake, Telefonica, TeliaSonera, Telecom Italia, Telenor Group, Tuenti, Vivendi and Vodafone.

Its statement of purpose and working plan mentions five working areas: simple tools for users to report harmful content and contact, age-appropriate privacy settings, wider use of content classification, wider availability and use of parental controls and the effective take down of child abuse material.

Da sind also eine ganze Menge großer Namen aus der Industrie dabei. Und sie wollen das Internet zu einem besseren Platz für Kinder machen. Ist natürlich Quatsch, aber als Mantra tragen die EU-Kommission und die dortigen Unternehmen halt wieder das böse Wort “Dokumentation von Kindermißbrauch” ins Feld. Das Problem hierbei ist: damit sind die schonmal auf die Nase gefallen und zwar grandios in Deutschland mit ihrem Zugangserschwerungsgesetz aka #Zensursula. Das Problem sieht auch die Koalition, denn:

For example, in the session about effective takedown of child abuse material (CAM), a Commission representative went as far as complaining about the resistance he perceives, complaining there was too much talk about civil rights and too little talk about what can be done. The only problem with the Commission’s demand for “effective” takedown of child abuse material is that it has (and it confirmed this in response to a parliamentary question) failed dismally to provide any evidence whatsoever that takedown is not functioning effectively already. This failure is all the more abject when we consider that it has paid for statistics to be prepared.

Der Widerstand der Leute 2009 und das Erwachen einer wehrhaften Demokratie ist also ein Problem in den Augen der EU-Kommission. Aha. Da weiß man, was man hat und woran man ist. Im EDRi-gram gibt es auch interessante Details wie dieses hier: 

As a side note, the Commission is now seeking to create new meanings for “takedown” and “removal” of illegal or allegedly illegal online content, with “removal” meaning definitive removal of specific content from all locations on the Internet, even though this interpretation was never discussed during the preparation of the recently adopted child abuse Directive where this issue is regulated. The “efficient takedown” emphasis totally overlooks the fact that takedown is the removal of a symptom – unconfirmed reports from the US suggest that as many as 80% of takedowns of allegedly criminal child abuse websites are not followed up by a police investigation. The EU does not collect statistics on this point. So instead of fighting the abuse that is the source of such images, this policy, on its own, serves only to hide the representation of the abuse. This approach is similar to what tends to happen in families where abuse happens, where everybody prefers to look away rather than act, putting all the energy into denial instead of helping the child victim.

Zum einen sollen die Begriffe wie “takedown” und “removal” neu besetzt bzw. interpretiert werden. Ich finde die Begriffe eigentlich eindeutig genug, aber vermutlich ist genau das das Problem, denn dies betrifft dann die Quelle und nicht irgendein Stopzeichen, das man davor aufstellt, was die EU-Kommission aber wohl gerne möchte. Also ist man bemüht, die Begriffe im Sinne der Kommission umzudeuten.
Weiterhin steht dort das interessante Detail, daß 80% der Takedown-Requests nicht verfolgt werden, weil es ein Vollziehungsdefizit bei der Polizei gibt. Also anstatt vernünftiger Polizeiarbeit und konsequenter Strafverfolgung, sucht man sein Heil lieber darin, das Problem hinter Internetsperren als schnellen Erfolg zu verstecken. Dies ist genau die gleiche Strategie wie in Familien, in denen der eigentliche Mißbrauch geschieht: dort wird auch lieber weggeschaut als zu handeln.

So verwundert es auch nicht, daß es gar nicht um die Lösung des Problems des Mißbrauchs von Kindern geht, sondern lediglich darum, daß “irgendetwas geschieht”: 

The pressure to deliver “something” risks to put the CEO Coalition into a mode where it just wants to deliver anything.

Reiner Aktionismus also. Irgendwer hat wohl mal beschlossen, daß man das mit dem Sperren machen will. Und sei es auch nur, um mehr Überwachungsinfrastruktur verkaufen zu können. Wenn wir schon keine Diktatoren in Westeuropa haben, müssen halt wieder mißbrauchte Kinder erneut als Vehikel zur Einführung von Internetsperren, Deep Packet Inspektion (DPI) und der Privatisierung von Rechtsdurchsetzungen herhalten. Ekelhaft. Beispiel gefällig? Bitte sehr: 

3. Microsoft has taken the lead on the “takedown” working group, where it enthusiastically supports the use of its “photoDNA” software. While photoDNA (which effectively identifies previously-identified abuse images, even when they have been cropped or otherwise distorted) clearly has some very positive applications – such as allowing hotlines to immediately identify known images, minimising exposure of analysts to the content, no effort (as usual) has been given to examining the potential side-effects of widespread use of the technology. What is the risk, for example, of creating a potentially lucrative market for new images, if “known” images are removed very quickly?

Wie passend, daß Microsoft da eine passende Software hat, um Bilder zu identifizieren und wiederzuerkennen, auch wenn diese verändert wurden. PhotoDNA wird übrigens auch von Facebook benutzt, um die dort hochgeladenen Fotos zu verarbeiten. Wie passend, daß Microsoft dann auch mit dem Slogan “A Childhood for Every Child – Digital Crimes Unit” auf ihrer PhotoDNA Website bewirbt. Es geht also ums Geschäft, nicht darum, den eigentlichen Mißbrauch der Kinder zu verhindern.

Da wird im fernen Brüssel also mal wieder im kleinen Kreis ausgeklüngelt, wie man wieder Internetsperren und Internetzensur einführen kann und es wird nicht davor zurückgeschreckt, dort absolut fragwürdige Vorschläge zu unterbreiten wie derjenige, die Rechner von Windows-Nutzern per Windows-Update mit einem Schnüffeltrojaner zu versorgen, der die Platten der Nutzer nach einschlägigem Material durchforsten soll. Und was passiert im Netz? In Deutschland? Gar nichts. Was 2009 noch zu einem Aufschrei geführt hat,  scheint 2012 niemanden mehr hinter dem Ofen hervorzulocken. Vermutlich, weil sich derzeit alles in Brüssel abspielt und es sich (noch!) nicht um ein konkretes Gesetzesvorhaben wie damals beim Zugangserschwerungsgesetz handelt. Zum anderen gibt es derzeit soooo  viele Vorhaben, an denen sich die wenigen Organisationen und Privatleute abarbeiten, die sich diesen Vorhaben in den Weg stellen. Umso wichtiger sind eben diese Leute wie bei EDRi.org, La Quadrature du Netnopnr.org, MOGiS und alle anderen, die sich in Brüssel dafür einsetzen, solche unsägliche Richtlinien wie die zur Vorratsdatenspeicherung zu verhindern, die die Bundesregierung dann meint, umsetzen zu müssen und wo dann die bundesdeutschen Initiativen wie die DigiGes oder D64 eingreifen müssen.

Uncategorized