Google Streetview und der digitale Pranger

Es ist schon amüsant mit Googles Streetview: als bekannt wurde, daß Google die deutschen Städte in sein Streetview-Programm aufnimmt, gab es einen Sturm der Entrüstung. Sogar Politiker wie Ministerin Aigner wurden aktiv. Zumindest mit Forderungen. Dann ging Streetview nun letzte Woche in Deutschland online und schon gab es Projekte und Stimmen, die gegen die Verpixelungen von Häusern ins Feld zogen. Aber langsam scheint es auch eine Gegenbewegung zu geben, um nicht zu sagen, daß die Stimmung kippt. So äußern sowohl Spreeblick als auch Berlinnow.org Bedenken an dieser radikalen Sichtweise, daß alle Häuser unverpixelt in Streetview sein sollen. Spreeblick schreibt zum Beispiel: 

mspr0 beispielsweise hat es nicht gefallen, dass seine Straße bei Google Streetview fast vollständig verpixelt wurde. Deswegen hat er den Widerspruch seiner Nachbarn nicht geduldet und selbst Fotos der Häuser hochgeladen, die seinen Wohnort umgeben. So sehr ich mich bemühe, ein Argument kann ich aus der Begründung nicht herauslesen:

Und vielleicht hast du gute Gründe dafür, dein Haus hinter einer schmierigen Milchglasverpixelung zu verstecken und damit das digitale Abbild meiner Straße zu verschandeln.

Aber mit Verlaub, die sind mir völlig schnurz.

Das geht ja nun mal gar nicht. Vor allem die Begründung. Es gibt halt Leute, die nicht wollen, daß ihr Haus bei Streetview weltweit einsehbar ist. Punkt. Aus. Deren Haltung hat man zu respektieren. Panoramafreiheit hin oder her. Zerrt man diese dann doch ins Internet, so hat das fast Ähnlichkeiten mit Selbst- bzw. Lynchjustiz: weil die Meinung der anderen mir nicht gefällt, ignoriere ich diese und mache das, was mir gefällt. Das kann es ja auch nicht sein.

Auch Dominic Herzberg von Berlinnow.org schreibt gegen diesen Alles-muss-bei-Google-zu-finden-sein-Wahn: 

Da muss man sich bei Seemann schon ganz anders zusammen reißen. Dieser pfeift nämlich auf die Befindlichkeiten seiner Mitmenschen. Seiner Meinung nach darf man sich nichts wünschen wenn man die Möglichkeit dazu bekommt. Google hat ja keiner gezwungen und warum die Menschen etwas wollen kann ihm doch eigentlich egal sein. Tut es aber nicht, denn seine Befindlichkeit steht ganz oben auf der Liste. Aber man darf das, man kommt aus dem Internet und macht sich viele Gedanken. Was das Idiotenvolk will oder denkt interessiert einen mspr0 doch nicht. Da schreibt man schon mal einen Blogeintrag der hunderttausende diskriminiert und vor den Kopf stößt, nur weil einem die digitale Öffentlichkeit wichtiger ist als das analoge Volk.

Ein beunruhigende Entwicklung der zum Glück genug Menschen widersprechen. Wenn man einem Konzern wie google gewisse Daten nicht an die Hand geben möchte und dieser dem Volk entgegen kommt, muss man keinen Kleinkrieg provozieren. Wenn man dies aber schon tun möchte, warum kann man nicht in einem vernünftigen Ton agieren und muss Antworten wie meine provozieren. Die Fronten verhärten sich wegen der Unwissenheit und der Angst der einen Seite und der Überheblichkeit der anderen.  Mittlerweile bin ich fast so weit das Haus in dem ich wohne auch pixeln zu lassen wenn es mal zu einer durchfahrt kommt, nicht weil mir wichtig wäre ob es zu sehen ist oder nicht, sondern weil ich mir von einem pseudointellektuellen Internetmob nicht vorschreiben lasse wie ich zu denken und zu handeln habe. Es nervt!

Das summiert recht schön, wie ich finde, die derzeitige Situation. Auf der einen Seite sind die Google-Befürworter, auf der anderen die Kritiker. Und beide Seiten sind nicht unbedingt versöhnlich, insbesondere die der Befürworter nicht. Da ich mich zu den Google-Kritikern zähle, kann ich natürlich eher die Gründe für eine Verpixelung verstehen und nachvollziehen, nicht aber, warum man als "Verpixeler" dann an einen digitalen Pranger gestellt werden muss? Ich persönlich finde Streetview eine nette Spielerei, aber möchte selber nicht dort auftauchen, weil mir das Wissens- und Informationsmonopol von Google ein Graus ist. Aber nicht nur das Monopol von Google, sondern jegliches Monopol. Es war gut und richtig, daß Microsoft von den Behörden jahrelang getriezt und mit Strafzahlungen belegt wurde, weil sie ihr Betriebssystemmonopol ausgenutzt haben. Und es waere auch gut, wenn es nicht nur eine Prozessorarchitektur im Massenmarkt der PC gäbe, sondern neben x86-kompatiblen (Intel/AMD) auch noch PowerPCs, ARM und andere Architekturen. Vielfalt bereichert.

Doch Google und andere Firmen wie Facebook versuchen, das Internet zu monopolisieren. Und jeder Landwirt weiß, daß Monokulturen schädlich sind. Nur im Internet bei der Google-befürwortenden Netzgemeinde scheint sich das noch nicht herumgesprochen zu haben. Diese befürwortet lieber ein Google-Universum, weil es ja alles so schön einfach und cool ist, was Google da macht.

Und ja, ich hab bei Google auch Einspruch gegen Streetview eingereicht. Nicht unbedingt weil ich keine Bilder vom Haus im Netz haben will (die gibt es ohnehin schon), sondern weil mir diese Google-Gläubigkeit auf die Nerven geht und ich weder Monopole von Google noch von anderen unterstützen will. Dennoch akzeptiere ich die Meinung von anderen, daß sie gerne ihr Haus bei Streetview sehen wollen. Allerdings stelle ich sie auch nicht deswegen an einen digitalen Pranger. Und erwarte eigentlich auch, daß sie meine Haltung hierzu respektieren. Oder um es mit Rosa Luxemburg zu sagen: "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden."

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7 thoughts on “Google Streetview und der digitale Pranger

  1. Darum ist die
    Darum ist die Panoramafreiheit ein Recht, und kein Privileg – damit es einem total schnurz sein kann, wie die Befindlichkeit desjenigen ist, dessen Hausfront da auf einem Bild landet. Wie bei den meisten Rechten scheint auch dieses ziemlich unumstritten zu sein, bis sich jemand denn mal entschließt das zu nutzen (wie Google oder Michael Seemann).

    1. Die Frage ist: wenn ich
      Die Frage ist: wenn ich gezielt und ausschliesslich ein Haus aufnehme, ist das dann noch ein Panorama? Koennte man drueber streiten.
      Aber ansonsten gilt halt wie im Artikel beschrieben: ich unterstuetze durchaus die Panoramafreiheit, bin aber gegen den Monopolismus von Google.

  2. Die Panoramfreiheit geht auf
    Die Panoramfreiheit geht auf den § 6 Nr. 3 KG von 1876 zurück und wurde 1907 in das KunstUrhG aufgenommen. Das dieses Gesetz wohl kaum den heutigen gesellschaftlichen Standards gerecht werden kann liegt auf der Hand. Genau aus diesem Grund war ein entgegenkommen von Google nur zu wünschen, denn, es gibt momentan einfach keine zeitgemäße Regelung.

    1. Eben. Ich denke, der
      Eben. Ich denke, der Grundgedanke bei der Panoramafreiheit war, dass man z.B. ein Foto vom Strand in Warnemuende mit den Haeusern im Hintergrund machen und dies dann als Postkarte verkaufen kann, ohne dass ein Hausbesitzer dagegen widersprechen und Anspruch auf Schwaerzung seines Hauses machen kann. Weil eben das Haus ein Teil des gesamten Panoramas ist.

      Gehe ich nun hin und fotografiere gezielt ein Haus und stelle es ins Netz, hat das weniger mit einem Panorama als mit einem Portrait zu tun. Oder anders ausgedrueckt: ein einzelnes Haus macht noch kein Panorama.

      IANAL.

      Die Sache mit dem Monopol kommt dann noch hinzu.

  3. Wie bei den meisten Rechten
    Wie bei den meisten Rechten ist auch die Panoramafreiheit ein wenig komplizierter als allgemein behauptet: tatsächlich betrifft die Panoramafreiheit nur urheberrechtlich geschützte Häuser. Allein schon bei Autos ist die Panoramafreiheit (schon länger) umstritten, temporär installierte Kunstwerke fallen beispielsweise überhaupt nicht unter dieses Recht. Google nimmt ja nicht nur Hausfassaden auf. Völlig unbegreiflich ist, warum inzwischen jeder im Netz das Wort Panoramafreiheit schreiben kann, aber keiner sich informiert hat, was es bedeutet. Denn auch wenn von den Befürwortern so getan wird, als gehe es ‘nur’ um Fassaden, sind es gerade die Fassaden, die verhältnismäßig unstrittig sind: der ganze andere Quark ist das Problem.

    (Ein nicht urheberrechtlich geschütztes Haus kann man übrigens auch jetzt schon problemlos fotografieren.)

  4. @Frédéric:
    Richtig, mit

    @Frédéric:

    Richtig, mit Panoramafreiheit im (urheber)rechtlichen Sinn, hat das alles eigentlich nichts zu tun.

    Es geht schlicht darum, daß Häuserfasaden a) nichts mit dem Persönlichkeitsrecht der Eigentümer oder Bewohner zu tun haben (anders als es für das Recht am eigenen Bild geregelt ist) und b) daß man sich mit dem Bau eines Hauses gerade in die Öffentlichkeit damit begibt. Nicht umsonst gibt es teilweise sogar öffentlich-rechtliche Vorschriften, wie eine Fassade auszusehen hat.

    Es handelt sich hier um “öffentliche Daten”, um die Sozialsphäre der Bewohner, nicht um deren Privatsphäre!

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