IT-Circus in Putbus – Zirkus in Politik und Medien?

Im Moment kursieren in den Medien verschiedene Berichte, daß das IT Science Center in Putbus vor dem Aus stehen soll. So berichtete die Ostsee-Zeitung am 8. Januar auf ihrer Webseite: 

Der Traum vom großen IT-Standort am historischen Circus wird für die Stadt Putbus auf Rügen mehr und mehr zum Alptraum. Nach der Insolvenz von vier Unternehmen des Firmengeflechts ist jetzt auch das Forschungszentrum IT-ScienceCenter (ITSC) finanziell am Ende.

Beim Circus in Putbus handelt es sich um ein klassizistisches Gebäude-Ensemble, in denen teilweise IT-Firmen bzw. IT-Institutionen untergebracht sind. Eine dieser Institutionen ist auch das IT Science Center (ITSC). Und dieses ITSC soll nun laut Bericht der Ostsee-Zeitung finanziell am Ende sein. Dabei bringt die Zeitung das ITSC in Verbindung mit Insolvenzen anderer dortiger Firmen.

Auch der NDR berichtet auf seiner Webseite vom NDR1 Radio MV über eine drohende Insolvenz des ITSC: 

Die Firma mit rund 15 Mitarbeitern hat bisher Forschungsleistungen bei der Entwicklung neuer Software erbracht. Das Bildungsministerium verlängert die Grundfinanzierung nicht mehr, in den vergangenen fünf Jahren waren es rund 1,4 Millionen Euro. In einer Stellungnahme des Ministeriums heißt es, das Unternehmen habe es seit 2002 nicht geschafft, sich trotz umfangreicher Hilfen des Landes eine stabile finanzielle Basis zu verschaffen.

Mal davon abgesehen, daß das ITSC nicht seit 2002 existiert, sondern erst seit 2005: Wer nun, wie ich, letztes Jahr auf der Informatik-Gala vom ITSC in Putbus war, wird sich nun vielleicht wundern, denn dort war in keinster Weise die Rede davon, daß die Förderung eingestellt werden sollte. Eher im Gegenteil: die Vertreter der Politik waren sehr bemüht, die gute Arbeit des ITSC herauszustellen und zu bestätigen. Die weitere Förderung wurde durchaus in Aussicht gestellt. Warum also die Landesregierung nun über das Bildungsministerium die Grundfinanzierung einstellt, erscheint mir also etwas seltsam. Warum loben die Politiker erst das ITSC in höchsten Tönen, nur um dann ein paar Monate später die Förderung einzustellen, obwohl das ITSC doch so erfolgreich sein soll?

Das ITSC stellt unter anderem auch ein paar Dokumente auf seiner Webseite zur Verfügung, die eben diese Ungereimtheiten auch bestätigen. So heißt es in den "Fakten zur Entwicklung des IT Science Centers" auf Seite 6 bei "Evaluierung Mitte 2010":

Die Evaluierung der Arbeiten des IT Science Centers durch drei Gutachter verläuft sehr positiv. Die Verbesserungsvorschläge der Gutachter laufen darauf hinaus, dass die Grundfinanzierung von 275 Teuro oder 300 Teuro als zu niedrig erachtet wird. Es werden diverse Positionen genannt, die aus der Grundfinanzierung realisiert werden sollten. Diese laufen auf einen Finanzumfang von etwa 600 Teuro Grundfinanzierung pro Jahr hinaus. Gerüchteweise heißt es, dass dem Bildungsministerium dieses Gutachten zu gut, Zitat: „erschreckend gut“ ausgefallen sei. Es heißt, Zitat: „Nun kommt man nicht mehr darum herum, das ITSC weiter zu fördern.“

Wenn man also so einen Erfolg im eigenen Land dank Förderung hat, wieso führt man dann diesen Erfolg nicht weiter, um damit die wirtschaftlich schwach strukturierte Region auf Rügen zu fördern? Wenn also das ITSC, wie aus dem gleichen PDF zu entnehmen, am 10. Januar Insolvenz hätte anmelden müssen, dann liegt es daran, daß das Bildungsministerium die weitere Förderung wohl schlicht und ergreifend verweigert hat. Aber laut Aussage von Prof. Heuer laufen seit Montag abend wieder Gespräche sowohl mit dem Wirtschaftsministerium als auch wieder mit dem Bildungsministerium über einer Grundförderung.

Was also bringt den Bildungsminister dazu, erst die weitere Förderung auf der Informatik-Gala am 21. September in Aussicht zu stellen, dann aber seine eigene Zusage nicht zu erfüllen?

Der NDR schildert zudem in seinem Artikel, daß die Universität Rostock die Zusammenarbeit mit dem ITSC beenden will und daß Prof. Andreas Heuer dies dementiert: 

Intern ist davon die Rede, dass IT-Science-Center-Geschäftsführer Ilvio Bruder am kommenden Montag Insolvenz anmelden wird. Bruder wollte sich auf Anfrage von NDR 1 Radio MV nicht äußern. Der wissenschaftliche Leiter des IT Science Centers, Professor Andreas Heuer, jedoch wehrt sich gegen die Darstellung des Bildungsministeriums.

Es stimme nicht, so Heuer gegenüber NDR 1 Radio MV, dass die Universität Rostock die Kooperation mit dem IT Science Center einstelle. Außerdem sei es falsch, wenn das Ministerium suggeriere, dass ein Forschungsunternehmen wie das IT Science Center ohne Grundsicherung auskommen müsse – das sei in keinem anderen vergleichbaren Institut bundesweit der Fall, alle seien auf staatliche Grundsicherung angewiesen. Außerdem würden Gutachten belegen, dass das IT Science Center eine gute Prognose habe.

Die Nachrichten sind also etwas widersprüchlich. Insofern ist es auch ratsam, mal direkt nachzufragen, weswegen ich dies bei Prof. Heuer mal gemacht habe: 

  1. Herr Prof. Heuer, stimmt die Berichterstattung, daß das Bildungsministerium trotz der quasi auf der Informatik-Gala am 21. September 2010 gegebenen Zusage der weiteren Förderung nun doch davon absieht, das ITSC weiter zu fördern?

    Prof. Heuer: "Es stimmt und es stimmt nicht.

    Es stimmt, weil uns am 5. Januar 2011 eine Mail erreicht, in der die Grundfinanzierung für 2011 und auch alle Folgejahre abgelehnt wurde. Die Ablehnung wurde dann am 6. und 7. Januar über Presse, Funk und Fernsehen verbreitet und begründet – leider mit Falschaussagen.

    Es stimmt nicht, weil auch nach dem 5. Januar weitere Gespräche mit dem Wirtschaftsministerium über die Grundfinanzierung geführt wurden, seit gestern Abend (Montag, 10.1.) auch wieder Gespräche mit dem Bildungs- und Wirtschaftsministerium."

  2. Wie kam es zu dieser "Schräglage" des ITSC? Haben die Insolvenzen der anderen Firmen im IT-Circus von Putbus dazu beigetragen?

    "Zunächst zu den Insolvenzen der IT-Firmen in Putbus: die haben zwar zu einer Delle in der Drittmittelquote des IT Science Center geführt, aber nicht dazu, dass das IT Science Center selbst in Insolvenzgefahr gerät. Die Drittmittelquote, also der Anteil selbst eingeworbener Projektmittel am Gesamtetat, betrug in 2009 75%, ein Spitzenwert für solche Forschungsinstitute auch im Bundesvergleich. In 2010 wird diese Drittmittelquote geringer ausfallen. Eine "Delle" in der Erfolgskurve, mehr nicht. Die Insolvenzgefahr des IT Science Center entsteht allein aufgrund der fehlenen Grundfinanzierung, die ja auch Voraussetzung für die meisten der Drittmittelprojekte ist."

  3. Wieso will das Bildungsministerium überhaupt bei einer Institution die Förderung streichen, obwohl die Prognosen so gut sein sollen?

    "Da kann ich nur vermuten, weil es mir auch selbst unverständlich ist. Das Land, betreibt einige Forschungsinstitute, die von Bund und Land bezahlt werden. Das ist sinnvoll, um in dieser Liga mitzuspielen. Das Land hat aber in den letzten Jahren die Forschungsinstitute, die nur vom Land ihre Grundfinanzierung bekamen, immer weiter zurückgefahren.
    Scheinbar hatten diese keine gute Drittmittelquote eingefahren und wollten trotzdem eine hohe Grundfinanzierung erhalten. Darum wurde wohl eine Art Grundsatzentscheidung getroffen "solche Institute wollen wir nicht", scheinbar auch von der Finanzministerin beeinflusst. Und obwohl das IT Science Center in der Drittmittelquote mit dem besten der angesprochenen Bund-Länder-Institute mithalten kann, ist es in den Strudel dieser "Landesinstitute bringen nichts"- Meinung geraten. Das muss revidiert werden: gerade in strukturschwachen Regionen in Deutschland (Saarland, Ostfriesland) gibt es extrem erfolgreiche IT-Forschungsinstitute, gerade Landesinstitute mit einer hohen Drittmittelquote."

  4. Die Kassen von Gemeinden und Land sind bekannterweise immer klamm, aber da das Land auch dieses Jahr einen recht ausgeglichenen Haushalt hat, verwundert es doch, warum es nicht mehr fördern will.

    "Wie eben gesagt: es verwundert deshalb sehr, weil das Land einen Gewinn davon hat. Jeder vom IT Science Center eingeworbene Projekt-Euro schafft ja Arbeitsplätze im Land, nicht nur im IT Science Center, da die meisten Projekte große Verbundprojekte sind. Ein Beispiel: gerade vor einigen Tagen wurde ein Projektvorhaben positiv evaluiert. Im IT Science Center entsteht ein neuer Arbeitplatz, im benachbarten IT College auch. In Rostock an der Universität, am Fraunhofer-Institut für graphische Datenverarbeitung und bei einer Rostocker Softwarefirma entstehen auch Arbeitsplätze, insgesamt sind das sieben. Wenn wir als IT Science Center also sagen, wir machen aus einem Arbeitsplatz, der durch die Grundfinanzierung bezahlt wird, drei neue Arbeitsplätze im IT Science Center selbst, dann würden bei dieser Art von Verbundprojekten 21 neue Arbeitsplätze im Land MV entstehen – und das Land hätte über die Grundfinanzierung nur einen davon bezahlt. Eine solche "Rendite" abzulehnen (aus einem Euro mache 21), dafür müsste jede Finanzministerin eigentlich geteert und gefedert werden, naja, sowas hätte man zumindest in früheren Zeiten gemacht."

  5. Läuft das ITSC Gefahr, durch die bisherige Berichterstattung vielleicht sogar noch tiefer in die finanzielle Enge getrieben zu werden? 

    "Ja, allein schon formal-juristisch. Wenn wir auch positive Verhandlungen mit den Ministerien führen, sagt ein Jurist natürlich, das letzte, was sie schriftlich haben, oder was über Presse, Funk und Fernsehen offiziell verbreitet wurde, ist die Ablehnung der Grundfinanzierung, und das ist der entscheidende Schritt zur Insolvenz. Das Bildungsministerium müsste dringend auch in der Öffentlichkeit diese schlechte Presse revidieren beziehungsweise uns schriftlich geben, dass an Konzepten für eine positive Fortführung gearbeitet wird."

  6. Immerhin kooperiert das ITSC mit normalen Firmen, die sich ja auch überlegen werden, ob sie mit einer von Insolvenz bedrohten Institution zusammenarbeiten wollen?

    "Das ist für die nächsten Monate und Jahre sicher ein Problem. Derzeit geht es aber um Tage, und da brechen sicherlich keine Projektpartner weg, aber durch die fehlende Grundfinanzierung einfach das gesamte Institut."

  7. Wie sieht die Planung für das ITSC generell aus? Ist es auch ohne Förderung zu retten? 

    "Zur zweiten Frage: eindeutig nein. Ein gemeinnütziges, freies, mittelständisches Forschungsinstitut braucht eine Grundfinanzierung vom Land. Ich habe dazu auch einmal einen Text angehängt (forschungsinstitute.pdf), der sehr grob Typen von Forschungsinstituten in Deutschland und die Art ihrer Grundfinanzierung beschreibt. In Form von Partnerschaften kann die Grundfinanzierung natürlich auch von Firmen und Industrieverbänden "angereichert" werden, wie im Beispiel des DFKI in Saarbrücken, eines der erfolgreichsten mittelständischen IT-Forschungsinstitute in Deutschland. Aber ganz ohne Absicherung durch die öffentliche Hand geht es nicht."

  8. Immerhin ist die Region Rügen nicht unbedingt als großer Wirtschaftsstandort bekannt (vom Tourismus mal abgesehen). Zudem bedeutet eine Insolvenz ja auch nicht gleich das sofortige Aus. Wie wird es also in Putbus weitergehen?

    "Das Witzige ist ja dabei, dass aufgrund der vielen, vorhandenen Projekte natürlich aus der Insolvenz heraus ein neues Forschungsinstitut entstehen kann, das aber dann wieder eine Grundfinanzierung benötigt. Und wie oben erwähnt, sollte ein solches auf jeden Fall entstehen, weil es sehr starke, positive Effekte auf die Region hat. Nur dann hätte man sich die Insolvenz von IT Science Center 1.0 auch sparen können, um als "Klon" IT Science Center 2.0 entstehen zu lassen."

Insgesamt gesehen sieht es für mich irgendwie danach aus, daß hier das ITSC etwas kaputtgeredet werden soll. Erst stellt die Regierung die weitere Förderung in größerer Höhe zunächst in Aussicht, nur um sie dann ein paar Monate später komplett einzustellen. Wenn das Land klamm ist, könnte ich ja verstehen, daß das Land nicht unbedingt die Förderung erhöht. Aber wir haben dieses Jahr ja nicht nur beim Ausstieg vom Atomausstieg gelernt, daß die Politik ihre Zusagen nicht immer einhält, sondern nur, wenn es opportun ist und gerade zufällig in den Kram passt. Kleinere Projekte bleiben allzu häufig auf der Strecke, während große und kostspielige Vorhaben wie Stuttgart21 unter allen Umständen und zu allen Kosten durchgedrückt werden. 

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6 thoughts on “IT-Circus in Putbus – Zirkus in Politik und Medien?

  1. klar, das land hätte (mit
    klar, das land hätte (mit einigen wenns) von den 21 neuen arbeitsplätzen über die grundfinanzierung nur einen bezahlt. über die grundfinanzierung! wieviel förderung kommt denn für die stellen beim itsc, der uni rostock, dem fraunhofer-institut etc. aus anderen quellen vom land, dem bund, der eu?

    und die 75% drittmittelquote stammen tatsächlich aus der freien wirtschaft? ich wäre beeindruckt! oder kommt davon doch direkt oder indirekt etwas aus anderen öffentlichen projekttöpfen?

    das wäre mal interessant, so ist das doch alles mal wieder nur die halbe wahrheit! nicht nur, was das itsc betrifft, sondern die gesamte förderpraxis in diesem bereich

  2. Danke dass du das mal
    Danke dass du das mal recherchiert hast! So richtig waren mir die Zusammenhänge vorher auch nicht klar 🙂

  3. An den anonymen Poster des
    An den anonymen Poster des ersten Kommentars:

    Die Drittmittelquote von 75 % für das IT Science Center wurde
    natürlich mit dem Verfahren ermittelt, mit dem sie auch für jedes
    andere Forschungsinstitut in Deutschland berechnet wird. Und da sind
    Drittmittel diejenigen Mittel, die von der Industrie für konkrete
    Projekte eingeworben und in Konkurrenz zu anderen
    Forschungsinstituten sozusagen “gewonnen” werden, aber auch Mittel,
    die von der Öffentlichen Hand, etwa DFG, BMBF oder EU, im Wettbewerb
    eingeworben, also auch wieder “gewonnen” werden. Da beim ITSC die
    Mittel aus öffentlicher Förderung fast ausschließlich vom Bund oder
    der EU kommt, ist das Einwerben dieser Mittel eben auch ein Gewinn
    für das Land. Die Fördertöpfe von Bund und EU sind im Haushalt fix
    eingestellt, und wenn ein Projekt nicht vom ITSC für MV eingeworben
    wird, dann gehen Fördergelder – und damit Arbeitsplätze – eben nach
    Baden-Württemberg (im Falle der Bundesförderung) oder nach
    Griechenland oder Portugal (im Rahmen der EU-Förderung). Somit ist
    die Rechnung “aus 1 mach 21” keine Milchmädchenrechnung, da ohne die
    Verbundprojekte des IT Science Center die Arbeitsplätze eben nicht in
    Mecklenburg-Vorpommern eingerichtet werden. Und wie oben gesagt: so
    rechnet jedes Forschungsinstitut in Deutschland oder im Bundesland,
    mit dem sich das IT Science Center vergleicht.

  4. Irgendwie werden hier nicht
    Irgendwie werden hier nicht alle Hintergründe dargelegt. Ich bin mir aber sicher dass es Hintergründe gibt die dort stark miteinfliessen.
    Wenn man mal die Berichte über Rügen IT usw liest, die in den letzten Tagen/Wochen aufgekommen sind, bekommt man doch das Gefühl dass es generell auch um eine Vetternwirtschaft geht, die schwer kontrollierbar ist, so weit weg von allem (Rügen halt) und wer will schon Millionen Fördergelder in den Händen verkappter Dörfler irgendwo am Rande der Zivilisation sehen?

  5. Hallo guybrush,
    in der Tat

    Hallo guybrush,

    in der Tat entsteht aus den in der letzten Zeit veroeffentlichten Berichten ein komisches Gefuehl. Und sicher ist in der “Ruegen IT” nicht alles mit rechten Dingen abgelaufen.
    Das IT-Science-Center hat allerdings mit den Machenschaften dort nur marginal zu tun. Es geht hier wirklich nur um die Grundfinanzierung eines Forschungsinstituts. Lesenswert hier:
    Das IT-Science-Center Grundfinanzierung Fakten.

    PS: Diese verkappten Doerfler sind alles studierte Informatiker, Ingenieure etc.!

  6. Da wo einst das ITSC drin war
    Da wo einst das ITSC drin war ist heute RügenTV drin.

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